Heideggers Hütte in Todtnauberg

Martin Swoboda

Ö1 Reiseatlas

Deutschland (Heidegger/Schwarzwald)

Dunkle Tannen, dichte Torten und die NS-Verstrickung eines Philosophen. Heidegger und der Schwarzwald.

Deutschland (Heidegger/Schwarzwald)

Die Ausmaße der waldhügeligen Landschaft im Südwesten Deutschlands sind genauestens festgelegt: 6009,2 Quadratkilometer groß ist der Schwarzwald, stellte das deutsche Institut für Landeskunde in den Fünfzigern fest. Bei aller Vermessung und Verortung, fühlt es sich während seiner Durchquerung dennoch an, als ob der international berühmte Black Forest den realen Landschaftsraum in den Schatten seines eigenen Nadelwalds stellt. Es ist ein Besuch bei echten Menschen und vorgefertigten Bildern, in der Heimat von Kuckucksuhren, Donauursprung und TV-Klinik.

"Er beschreibt lustigerweise immer wieder die Situation, dass Städter in den Schwarzwald kommen: Die können das Eigentliche des Schwarzwaldes gar nicht erleben, weil sie von touristischen Bildern so geprägt sind, dass sie den als Erlebnisraum missverstehen. Diesen Gegensatz zwischen der städtischen Welt, die in den Schwarzwald kommt, und dem eigentlichen Leben der Leute dort, macht Heidegger immer wieder deutlich." Das sagte Philosophie-Professor Oliver Müller, einer der Gesprächspartner auf dieser Reise für ein Ambiente, in dem es um den Schwarzwald, aber auch um Martin Heidegger geht. Das Eigentliche war das Steckenpferd des Philosophen. Das eigentliche Dasein ist bei ihm das Gegenteil von dem, was man - mit einem N - tut, weil es so üblich ist. Man fährt in den Schwarzwald und man erwartet sich dichte, dunkle Wälder, mächtige Torten und Wanderwege mit Fernsicht.

In Freiburg im Breisgau, das den Beinamen Schwarzwaldmetropole trägt, unterrichtete Heidegger Philosophie. Für seine Studierenden fasste er das Leben des Aristoteles einmal so zusammen: Er wurde geboren, arbeitete und starb. Der 1889 geborene Heidegger hätte wohl gerne eine ähnliche Kurz-Vita für sich beansprucht. Sein Beitrag zur Existenzphilosophie, seine Technik- und Sprachkritik waren das, was die Nachwelt bestaunen sollte. Diese arbeitete aber auch sein Leben - konkret: sein Engagement im Nationalsozialismus - nach und nach auf.

Antonia Löffler ist den Feldwegen, Holzwegen und Irrwegen des umstrittenen Denkers durch den Schwarzwald gefolgt. Zur Erhöhung der Ortskenntnis allerdings mit thematischen Abzweigungen: Es geht unter anderem nach Tübingen, wo der Dichter Friedrich Hölderlin unruhig im Turmzimmer umher wanderte. Es geht in den Skiort Todtnauberg, wo die Schwarzwälder Kirschtorte zur internationalen Marke aufgebaut wurde - und wo der Antimodernist Heidegger in einer Hütte sein berühmtes Werk "Sein und Zeit" schrieb. Und es geht wieder hinab ins Tal nach Freiburg im Breisgau, wo sich im Schatten des Münsters alte Gassen, Bächlein und NS-Geschichte versammeln. Es geht um die Frage, was denn das Eigentliche, das Authentische hier ist (die Gleichstellung der Begriffe hätte Heidegger wohl bereits aufgeregt), und um die kritische Einordnung des bekannten Schwarzwälders, der eigentlich Schwabe war.

Ö1 Ambiente Sendung vom 18. Juni 2023
Gestaltung: Antonia Löffler, Redaktion: Ursula Burkert

Service

Der Schwarzwald ist eine Ö1 Reisedestination 2023.
Ö1 Reisedestinationen '23 - S. 18

Literatur:
Rüdiger Safranski
Ein Meister aus Deutschland: Heidegger und seine Zeit
2001

Rüdiger Safranski
Hölderlin: Komm! ins Offene, Freund!
2019

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