Kreative Entwickler
Wie entsteht der Hacker-Spirit?
Die Bildungslandschaft ist im Umbruch, viele würden sagen, in der Krise. Doch Bildung findet nicht nur im Bildungsbetrieb statt. Die Open-Source-Software-Szene hat in den letzten zehn Jahren in vielerlei Hinsicht für Furore gesorgt.
8. April 2017, 21:58
Die Bildungslandschaft ist im Umbruch, viele würden sagen, in der Krise: schlechte Pisa-Werte, Streit um Studiengebühren, "Verschulung" der Universitäten und, nicht nur in Österreich, die Einführung eines Zwei-Klassen-Systems, mit Elite-Unis, die Forschung betreiben, und anderen, die Massenausbildung betreiben und McDiplome verteilen.
Doch Bildung findet nicht nur im Bildungsbetrieb statt, vor allem wenn dort Bildung zunehmend als Ware betrachtet wird. Die Open-Source-Software-Szene hat in den letzten zehn Jahren in vielerlei Hinsicht für Furore gesorgt. Die meisten Server im Internet werden mit Open-Source-Software betrieben. Viele akademische Institutionen, Regierungen, aber auch kommerzielle Großunternehmen verwenden zunehmend quelloffene Software. Während Linux selbst nicht mehr jenes Blitzlichtgewitter erzeugt, wie noch zu Zeiten der New Economy, ist die Linux-Variante Ubuntu gerade im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit.
Tausch- und Geschenksökonomie
Mit Hilfe der kooperativen Entwicklungsmethode im Netz schafften es Open-Source-Software-Entwickler, Systeme von der vergleichbaren Komplexität eines Düsenjets zu bauen. Freie und Open-Source-Software wird nicht mehr als Ware feilgeboten, sondern zirkuliert innerhalb einer Tausch- und Geschenksökonomie.
Die Bedeutung dieser Entwicklungen reicht weit über die Informations- und Kommunikationstechnologien hinaus und hat Auswirkungen auf Kunst und Kultur, partizipative Demokratie und nicht zuletzt auch die Bildung.
"Kreative Entwickler, die Kultur der Open Source-Szene"
Im vergangenen Jahr hat der Autor dieses Beitrags eine Studie des Titels "Kreative Entwickler, die Kultur der Open.Source-Szene" unternommen. Diese Studie beruht auf Leitfadengesprächen mit zirka 20 EntwicklerInnen von freier und Open-Source-Software. Diese Entwickler, im Jargon auch oft Hacker genannt, haben außergewöhnliche Lernfähigkeiten unter Beweis gestellt. Viele kreative Entwickler von freier und Open-Source-Software haben schon als Kinder mit dem Programmieren begonnen und als Teenager so manchen Informatik-Profi abgehängt.
Während die Gesellschaft und vor allem Teile der Medienlandschaft sich auf den Aspekt des "hacking“ - "Einbrechen in fremde Computersysteme" - konzentrierten und damit das Klischee des bleichen, antisozialen Hackers schufen, ist die Ausgangsbasis der Studie, dass Hacker eine Kultur geschaffen haben, von der die Gesellschaft viel lernen könnte, nicht zuletzt auch, was die Thematik des Lernens selbst betrifft. Im folgenden seien einige Kernpunkte zum Thema "wie lernen Hacker" vorgestellt.
Wie Hacker lernen
Hacker lernen selbst motiviert und sind dabei von einem intrinsischen Interesse angetrieben. Sie möchten herausfinden, wie etwas funktioniert. Das ist die stärkste Motivation, die an erster Stelle genannt wird. In den Leitfadengesprächen, die ich mit cirka 20 Hackerinnen und Hackern führte, wurde es oft schwierig, über diesen Punkt hinaus weitere Antworten zu bekommen. Wissen zu wollen, wie etwas funktioniert, ist ein sich selbst genügendes Interesse. Sebastian Sauer aus Wien erzählte davon, wie er sich mit neun, zehn Jahren am Schrottplatz kaputte Waschmaschinen und Geschirrspüler anschauen ging, um ihre Funktionsweise zu durchschauen. Elektra aus Berlin bastelte mit acht ihre eigenen Stromkreise - learning by doing.
Schon vor mehr als 100 Jahren schrieb der berühmte österreichische Physiker Ernst Mach ein Buch mit dem Titel "Versuch und Irrtum". Laut Mach bilden Versuch und Irrtum den Grundstein der wissenschaftlichen Methode. Später begeisterte sich der große österreichische Wissenschaftsphilosoph Paul Feyerabend für Machs Thesen. Feyerabend, der selbst für seine Kritik am wissenschaftlichen Methodenzwang bekannt wurde, freute sich, dass das Buch des Wissenschaftlers Ernst Mach diese Kritik inhaltlich stützte.
Wenn Teenager programmieren
Tagtäglich treten heute Hacker in die Fußstapfen des großen Physikers und des streitbaren Philosophen. Try and Error sind der zweite wichtige Bestandteil der Hackermethode. Anstatt Problemen mit einem Respektabstand zu begegnen und sich einer Lösung theoretisch anzunähern, wird ausprobiert, solange bis die Technik tut, was man will. Jahrelang sperrte sich Bruce Simpson quasi im Kinderzimmer des schottischen Ortes Greenock ein. Während seine Schulkollegen hinter dem Fahrradschuppen erste Zigaretten rauchten oder den Mädchen nachstellten, programmierte Bruce schon mit 14 Gerätertreiber in der Programmiersprache C.
"Es ist ein bisschen wie die Arbeit in einer Mine," erklärt Bruce, "du musst einen Kopf dafür haben, dann bist du wirklich ein Minenarbeiter. Um wirklich etwas auf die Reihe zu kriegen, musst du das System von innen heraus kennen."
Versuch und Irrtum
Der Entwicklungsmethode "Versuch und Irrtum" kommt die Beschaffenheit des Betriebssystems Linux entgegen, das von den meisten HackerInnen verwendet wird. Dort hat man es mit der Kommandozeile zu tun, einem textbasierten Interface für die Eingabe von Befehlen. "Und irgendwann ist mir aufgefallen, wenn man gewisse Sequenzen eintippt, kommt ein gewisses Feedback zurück, das immer gleich bleibt. Mit acht hab ich so halbwegs verstanden, was man damit machen kann“, berichtet Sebastian Sauer.
Die grafischen Benutzeroberflächen verbergen, was sich im Computer eigentlich tut. Mit der Kommandozeile weiß man, was man hat. Macht man einen Fehler, so bekommt man eine Fehlermeldung, die man analysieren kann. Das kommt der tastenden Lernweise mit Versuch und Irrtum entgegen. Langsam und mit viel Zeit und Geduld akkumuliert sich Wissen.
Soziale Beziehung über das Internet
Auch der soziale Aspekt ist wichtig für die Bildung des Hackergeistes. Ein verbreitetes Vorurteil lautet, Hacker seien asozial. Vielleicht wäre es besser zu sagen, sie seien "anders sozialisiert". Anstatt sich mit den Kindern und Jugendlichen abzugeben, mit denen man zufällig in der gleichen Strasse aufwächst, entwickeln sich soziale Beziehungen über das Internet. Die Reputation innerhalb der Szene ist ein wichtiger Antrieb. Man will zeigen, dass man besser ist, dass man zur Elite gehört.
Das Internet und das geheime Wissen über dessen verschlungene Pfade ermöglichen es, sich eine eigene Welt aufzubauen, zu der Lehrer und Eltern keinen Zugang haben. In einer Welt, in der Jugendliche normalerweise kaum etwas zu sagen haben, schaffen sie sich eine eigene Einflusssphäre, in der sie "in control" sind. Dabei zählen in den Forumsdiskussionen weder Alter, noch Herkunft oder Aussehen sondern allein die Kompetenz.
Kernfrage Kommunikation
Das Lernen durch Dialog, das Tauschen von Code, gemeinsam produzierte Dokumentationen, FAQs und Manuals sind Grundbestandteile der Hackermethode. Viele bevorzugen das offene Hacklab wie etwa die C-Base in Berlin oder das Metalab in Wien gegenüber dem Klassenzimmer. Da können sich Gleichgesinnte treffen, einander über die Schulter schauen oder eben schell eine Frage stellen. Für Tatiana, eine politische Aktivistin aus Barcelona, ist die Kommunikation die Kernfrage.
Tatiana meint: "Wir versuchen Plattformen für freie Kommunikation mittels freier Software aufzubauen. Es geht nicht nur um die Software, die wir benutzen. Die Ethik der Arbeit, die wir machen wollen, beruht auf der Ethik von Freier Software. Es geht darum, den Leuten klarzumachen, dass der, der etwas als erster entwickelt hat, auch die Pflicht hat, das zu kommunizieren.“ Für Tatiana könnte das ganze Leben ein offenes Hacklab sein.
Im Computer gibt es keine Geheimnisse
Insgesamt ergibt sich der Eindruck, dass in den fortgeschrittenen Konsumgesellschaften sowohl das Wissen als auch die Technik mystifiziert werden. Das tiefe Wissen um die Technik ist mit einem Schleier des Geheimnisvollen umgeben, welcher den finanziellen Eliten hilft, ihre Interessen zu schützen. Hackerinnen zeigen, dass es keine Geheimnisse gibt, zumindest nicht im Computer. Wer bereit ist, etwas Zeit aufzuwenden und sich den Problemen mit Versuch und Irrtum zu stellen, für den oder die wird alles durchschaubar, zumindest solange man Linux benutzt.
Die kollaborative Methode und das Lernen im offenen Hacklab mögen zwar nicht die einzige Antwort auf die Bildungskrise sein, zeigen aber zumindest Wege auf, die bereits erwiesener Maßen zu guten Ergebnissen geführt haben. Wer weiß, ob Ernst Mach heutzutage eher auf der Elite-Uni oder im Metalab anzutreffen wäre.
Armin Medosch ist freier Autor, Kurator und Netzkulturaktivist. Dieser Beitrag stützt sich auf die Studie "Kreative Entwicklungen - Die Kultur der Open.Source-Szene". Eine Veröffentlichung der gesamten Studie im Laufe des Jahres 2007 ist geplant.
Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 29. April 2007, 22:30 Uhr
Links
Metalab
C-Base
futurezone.ORF.at - Ubuntu launch