Vaterfigur der zeitgenössischen Musik
Ekstatiker und Asket
Der "Musikant Gottes" sah die Oper als Ausdruck christlichen Glaubens und hütete ein Tonarchiv mit mehr als 100.000 Trillern und Gezwitscher aus aller Welt: Olivier Messiaen. Im April begeht man den 15. Todestag des französischen Komponisten.
8. April 2017, 21:58
Messiaen-Schüler Thomas Daniel Schlee
Der 1983 in Paris uraufgeführte Dreiakter "Saint Francois d'Assise" von Olivier Messiaen (1908-1992) zählt bereits zum internationalen Opernrepertoire. Acht Jahre lang hatte der französische Komponist an den "franziskanischen Szenen", seiner einzigen Oper, gearbeitet. Dass er sie überhaupt jemals vollenden würde, war damals bezweifelt worden.
Messiaen, dessen Todestages man am 27. April gedenkt, sah in der Musik den Ausdruck seines christlichen Glaubens, kein "Anhängsel der Geschichte", sondern einen "Sprung aus der Zeit". Ähnlich wie Anton Bruckner verstand er sich als "Musikant Gottes".
Sinnliche Farbigkeit
Der tiefromantische Messiaen war abwechselnd Ekstatiker und Asket. Antike und außereuropäische Rhythmen, der gregorianische Gesang sowie die Vierteltontechnik inspirierten ihn zu breit angelegten Tonschöpfungen sinnlicher Farbigkeit. Er bereicherte sie mit harmonischen Erfindungen und Erkenntnissen der Zahlenmystik sowie Vogelgesang. "Der Heilige Franziskus sprach zu den Vögeln, Messiaen hörte ihnen zu", konstatierte ein französischer Musikkritiker.
Der Komponist hütete ein Tonarchiv mit mehr als 100.000 Trillern und Gezwitscher aus aller Welt. Er mache Musik für Leute, die es nicht verstünden, dem Vogelgesang zu lauschen, klagte er einmal. Ebenso unempfänglich seien sie für seine Rhythmen und Klangfarben.
Umstritten und gefeiert
Messiaen war lange umstritten, doch schließlich wurde er als große Figur der französischen Musik des 20. Jahrhunderts international gewürdigt und gefeiert. Dennoch fühlte der eigenwillige Künstler sich Zeit seines Lebens unverstanden. Der Komponist wurde als Sohn eines Anglisten und einer Dichterin in Avignon in Südfrankreich geboren. Seine Familie hatte nicht nur provenzalische, sondern auch flämische Wurzeln.
1919 kam er nach Paris und studierte Komposition bei Paul Dukas ("Der Zauberlehrling") sowie Orgel bei Marcel Dupre. 1931 wurde er Organist in Paris und übte dieses Amt mehr als 30 Jahre lang aus. Konzerte hatte er fast nie gegeben. Als Mitbegründer der Komponistengruppe "Jeune France" bekämpfte er "technisches Amüsement" und trat für "Aufrichtigkeit und Herzenswärme" in der Musik ein.
Quartett für das Weltende
Während des Zweiten Weltkriegs geriet er in deutsche Gefangenschaft. In Görlitz (heute Sachsen) entstand sein "Quatuor pour la fin du temps" (Quartett für das Weltende). Länger als drei Jahrzehnte, bis zum September 1978, war Messiaen Professor am Musikkonservatorium in Paris. Zu einer Vaterfigur der zeitgenössischen Musik machten ihn berühmte Schüler wie Pierre Boulez, Karl-Heinz Stockhausen, Iannis Xenakis, Pierre Henry oder Pierre Amy. Auch die Pianistin Yvonne Loriod, die als beste Interpretin seiner Werke gilt, studierte bei ihm, bevor sie seine zweite Frau wurde.
Messiaen hinterließ Orchesterwerke, darunter "Chronometrie", Vokal-und Kammermusik, Klavier- und Orgelwerke, "La Nativite du Seigneur" sowie sein "Orgelbuch". Zu seinen bekanntesten Kompositionen zählen die "Turangalila"-Symphonie, das Oratorium "La Transfiguration de notre Seigneur Jesus- Christ", das Requiem "Et exspecto resurrectionem mortuorum", die Pfingstmesse "Messe de la Pentecote" und "Des Canyons aux Etoiles".
Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 21. April 2007, 17:05 Uhr
Links
Boston University Messiaen Project
Festival Messiaen