Zum Thema Jazz & Film

Swing unterm österreichischen Hakenkreuz

Provokantes Verhalten gegenüber Autoritäten ist Pflichtbestandteil jeglicher Jugendkultur. Was aber, wenn selbst harmlose Freizeitaktivitäten wie Musikhören lebensbedrohlich werden? Dieser Frage geht ein Dokumentarfilm über die Schlurfs nach.

Louis Armstrong, "Tiger Rag" (1965)

Unter dem Titel "Schlurf - Im Swing gegen den Gleichschritt” beleuchtet der Dokumentarfilm von Wolfgang Beyer, Monica Ladurner und Katja Schröckenstein die Schicksale österreichischer Swing- und Jazzfans unter der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen 1938 und 1945.

Als Schlurf bezeichnete man damals Jugendliche, die sich für Jazz begeisterten und durch extravagante Kleidung und Frisuren (die Herren favorisierten die sogenannte "Lahmwön") von ihrer Umgebung unterschieden. Damit war aber auch gemeint, dass der Betreffende arbeitsscheu, asozial, mitunter kriminell sei, und bei einer Frau rückte die Bezeichnung "Schlurfkatz” die Betreffende in die Nähe der Prostitution.

Tragbarer Plattenspieler

Auf dem Koffergrammophon wurde öffentlich die geheime Hymne der Schlurfs, der "Tiger Rag" aufgelegt. Diese Bewegung war den Nazis, die dem populären Jazz gegenüber ein durchaus ambivalentes Verhältnis hatten, ein Dorn im Auge und gegen die Musik und ihre Fans wurde mobil gemacht. Was bei den vorerst unpolitischen Jugendlichen Verweigerung, zivilen Ungehorsam und oft aktiven Widerstand hervorrief.

Die Kapellmeister und Musiker unterliefen die Zensur, indem aus Notenblättern die Originaltitel herausgeschnitten und erfundene Titel eingesetzt wurden. Aus Jazzklassikern wie "Sweet Georgia Brown" wurde "Hallo Benny", der "Flat Foot Floogie" hieß "Die Milchfrau hat heut' keine Semmel", der "St. Louis Blues" wurde als "Lied vom traurigen Ludwig" aufgeführt, und wenn der Kapellmeister ein Stück namens "Tabak Trafik" ankündigte, wussten die Fans, das damit der "Tiger Rag" gemeint war.

"Arbeitserziehungslager" Oberlanzendorf

Hitlerjugend und Streifen der Wehrmacht durchsuchten Kinos und Tanzlokale nach sogenannten "arbeitsscheuen Elementen". Im Film erzählt der später als Radiomacher bekannt und legendär gewordene Moderator Günther Schifter von seiner Festnahme im Dezember 1944 und von seiner Haft im "Arbeitserziehungslager" Oberlanzendorf. Im Chaos der letzten Kriegstage gelang ihm die Flucht und er entging so dem berüchtigten Todesmarsch nach Mauthausen.

Spezielle Jugendlager errichteten die Nazis überall dort, wo die Jazzfans tanzten: in Deutschland für die Swingkids, in Frankreich für die "Zazous", die sich nach Cab Calloways Song "Zah Zuh Zaz" benannten und in der Tschechoslowakei für die "Potapki".

Auch Eltern zum Tode verurteilt

Im Film kommt auch der deutsche Jazz-Gitarrist Coco Schumann zu Wort, der in den Lagern Theresienstadt, Auschwitz und Dachau inhaftiert war und dort mit den sogenannten "Ghetto-Swingers" buchstäblich um sein Leben spielen musste. Sogar Eltern von Swingkids wurden zu Opfern. So wurde die Mutter Anna Goldsteiner im Jahr 1944 zum Tode verurteilt, weil in ihrer Wohnung Treffen von Jugendlichen stattgefunden hätten, die sich Schlurfs nannten.

Die Dokumentation "Schlurf - Im Swing gegen den Gleichschritt” unternimmt eine Spurensuche in die jugendliche Subkultur des Dritten Reichs. Historisches Material steht neben Spielszenen, die Swingnummern erklingen in Originalaufnahmen oder in aufgeregt hitzigen Neubearbeitungen durch Fatima Spar und ihrer Band, den Freedom Fries. Unterstützt werden sie dabei vom Tanzensemble Some like it hot, durch die Handlung führt der Schauspieler Christian Qualtinger.

Die Ö1-Jazznacht bietet am Samstag, 7. April 2007, eine musikalische Inhaltsangabe zur Dokumentation.

Hör-Tipp
Ö1 Jazznacht, Samstag, 7. April 2007, 23:05 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

TV-Tipp
"Schlurf - Im Swing gegen den Gleichschritt”, Sonntag, 15. April 2007, 22:55 Uhr, ORF 2

Mehr dazu in tv.ORF.at

CD-Tipp
Cab Calloway, "Zah Zuh Zaz", Proper Records INTROCD2007
Louis Armstrong, "Tiger Rag", Laserlight Records LLT 17199
Fatima Spar und die Freedom Fries, "Zirzop", Geco Tonwaren H293-2