Versuch einer Annäherung

Born in Vienna

Monroe Price ist amerikanischer Universitätsprofessor jüdischen Glaubens und "geboren in Wien". Die Familie floh mit ihm als Baby 1939 in die USA. Um seiner Identität auf die Spur zu kommen, hat Monroe Price dieses Buch geschrieben.

Warum misst man den Umständen der Geburt so viel erzählerische Bedeutung bei? Die Hauptperson einer Biografie wird fast unverzüglich durch Datum und Ort ihres Eintritts in die Welt umrissen. (...) Diese Daten werden an erster Stelle angeführt, oftmals gerade so, als seien sie die zwingenden Hintergründe und Voraussetzungen für die später folgenden emotionalen Dramen.

Den amerikanischen Juristen und Universitätsprofessor Monroe E. Price haben jedenfalls der Umstand seiner Geburt in Wien knapp vor dem Einmarsch Hitlers und die Flucht der Familie in die USA als beinahe unwirklicher, von Legenden überlagerter Ursprung seines Daseins fast 70 Jahre lang nicht losgelassen. Und so hat er sich noch spät zum diesbezüglichen Studium seiner selbst entschlossen. Er legt allerdings nicht das Ergebnis seiner Eigenerforschung, sondern die Beschreibung des Weges dahin in Buchform vor: das Wachsen der Wissbegierde eines Mannes, dem die Eltern erzählt haben, er sei einmal ein jüdisches Baby im plötzlich naziüberschwemmten Wien gewesen.

Das Wien der Mutter und des Vaters

Wien bleibt bekanntlich Wien, erst recht für einen, der sich nicht daran erinnern kann. Aber welches Wien? Das der orthodox-religiösen Mutter? Das des eher liberalen Vaters?

"Das eine erschien mir fern und manchmal abweisend - das war gewissermaßen das Wien meiner Mutter, aber es war wichtig, wegen seines religiösen Einflusses auf mich", erinnert sich Price. "Das Wien meines Vaters erschien freundlicher und auf eine Art mehr bezogen auf Anpassung in den Vereinigten Staaten."

Und die funktionierte tadellos: Der Herangewachsene studiert Jus in Yale, wird Universitätsprofessor, Jurist, Medienwissenschafter - nicht ohne, wie er heute sagt, das "sanfte Diktat" seiner Eltern, doch sich und ihnen den "American Dream" zu erfüllen. Der Angepasste vermag sich nur asymptotisch einer neuen Identität zu nähern - zumal die Eltern emotional an Wien, an einem wiederum anderen Ort, dem ihrer Erinnerung, hängen geblieben sind.

Die Erinnerungsstücke, eingeschreint in einer Vitrine, die jeden Umzug der Familie Price in den USA mitgemacht haben, beschreibt Monroe Price in seinem Buch als sein "erstes Museum".

Sie beinhaltete immer eine geheimnisvolle Sammlung von Dingen, die ein Leben repräsentierten, das in der Vergangenheit eingepackt worden war, ein Leben mit Silbertabletts, Kristallvasen, Porzellanfiguren, zierlichen Mokkatassen und Milchkännchen. (...) In unserer unsicheren Welt stellten die Vitrine und ihr Inhalt eine gewisse konstante Größe dar.

Was wäre wenn?

Für Monroe Price war Wien lange Zeit kein Reiseziel, denn das Wien seiner Eltern, seiner Geburt, war ja zu Hause in den USA. Dennoch ließen ihm die Fragen keine Ruhe: Was hat sich verändert seit den 1930er Jahren? Kann man, soll man, muss man sich damit beschäftigen? Und immer wieder: Was wäre geworden, hätte er hier bleiben, hier weiter leben dürfen?

1993 bot die österreichische Regierung - als Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung - Vertriebenen die Staatsbürgerschaft an. Monroe Price nahm an. Nach langem Überlegen: "Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir die österreichische Staatsbürgerschaft geraubt worden war, dass ich sie brauchte oder wollte. Es war - und das mag jetzt banal und kalt klingen - einfach eine Option, es ging nicht darum, meine Zugehörigkeit zu Österreich zu erneuern." Viel wichtiger sei für ihn, sich nun auch als Europäer fühlen zu dürfen.

Das eigene Wien entdecken

Als vor fünf Jahren in Österreich der Allgemeine Entschädigungsfonds geschaffen wurde und sich der Doppelstaatsbürger und Antragsteller Price durch die historischen Konvoluten arbeiten musste, ergab das, so berichtet er, den entscheidenden Impuls, einem anderen Wien als dem der Familienlegende, einem womöglich eigenen, auf die Spur zu kommen

Ich wurde zu einem genaueren, aber immer noch weitgehend unfreiwilligen Historiker meiner eigenen Vergangenheit. Es war fast zu viel. (...) Ich wollte meine eigene Vergangenheit in einen präziseren Kontext stellen können. Doch ich weigerte mich, mich zu tief hineinziehen zu lassen.

Wien bleibt Wien. Karl Kraus betrachtete das bekanntlich als gefährliche Drohung. Für den hier geborenen Nachgeborenen Monroe Price wäre das das unwahrscheinlichste Ergebnis seines lebenslangen Identitäts-Experiments.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Monroe E. Price, "Born in Vienna. Versuch einer Annäherung", aus dem Amerikanischen übersetzt von Hannes Wendtlandt, Drava Verlag, 2006, ISBN 978-3854354819