Cecily Corti, Obfrau der VinziRast im Gespräch

Des Scheiterns müde

Cecily Corti ist Obfrau der Notschlafstelle "VinziRast" in Wien-Meidling, in der seit April 2003 bis zu fünfzig Obdachlose pro Tag betreut werden. 1000 Tage Betrieb bietet Anlass, über das Konzept des "niederschwelligen“ Betreuungsangebots zu resümieren.

Cecily Corti im Gespräch mit Michael Kerbler

Michael Kerbler: Frau Corti, jeder zweite Österreicher hat den Eindruck, dass die Obdachlosigkeit zunimmt. Deckt sich diese gefühlte Veränderung, Ihrer Erfahrung nach, mit der Faktenlage? Kommen mehr Menschen in die VinziRast, in die Notschlafstelle im 12. Bezirk in Wien?
Cecily Corti: Wir haben jetzt vor bald drei Jahren die VinziRast, diese Notschlafstelle aufgemacht und waren innerhalb der ersten vier bis sechs Wochen mehr oder weniger voll. Und das hat sich so gehalten. Wir haben manchmal Betten frei, sogar in der kältesten Zeit wie voriges Jahr. Und wir sind manchmal so voll, dass wir Menschen wegschicken müssen, selbst in der Hochsommerzeit, wo man weiß, dass viele auf der Donauinsel oder sonst wo unter freiem Himmel lieber schlafen.

Wer kommt denn in die VinziRast? Sind das die typischen "Sandler", wie man in Wien sagt? Sind das Menschen, die halt nicht auf der Parkbank oder auf der Donauinsel übernachten wollen und die sagen, es wäre schon mal gut, eine heiße Dusche zu haben und vielleicht ein frisches Gewand, eine Versorgung? Sind es überwiegend Männer?
Es ist - was ich wunderbar finde - ein wirklicher Querschnitt durch alle diese unterschiedlichen Sparten von obdachlosen Menschen. Ursprünglich war ja unsere definierte Zielgruppe "Österreicher, alkoholabhängig". In der Regel, oder sehr oft, sind die ja auch psychisch krank. Mehr oder weniger. Wir haben dann sehr schnell gemerkt, dass Frauen vor der Tür stehen. Und so lange wir ein Bett frei hatten, wollten wir die nicht wegschicken. Wir haben ihnen die Situation erklärt, dass sie da mit Männern im gleichen Raum schlafen. Wir haben 48 Stockbetten. Wenn sie damit einverstanden waren, haben wir sie natürlich aufgenommen. Und dabei ist es auch geblieben. Es sind weniger Frauen als Männer, definitiv viel weniger Frauen. Dafür gibt's auch sicher Erklärungen.

Wir haben dann auch natürlich Ausländer gehabt, die Aufnahme gesucht haben. Da waren wir etwas zögerlich, weil wir wissen, dass das mehr Schwierigkeiten bringt. Grundsätzlich ist ja schon die Gruppe von Menschen, für die wir die VinziRast geöffnet haben, was man "schwierig" nennt. Die in anderen Unterkünften schlecht unterkommen oder auch gar nicht mehr wollen, weil sie es zu oft versucht und es nicht geschafft haben. Weil sie krank sind. Weil sie den Regeln, die doch in den meisten Institutionen vorgegeben sind, nicht folgen können. Weil sie vielleicht auch an diesen Versuchen zur Reintegration zu oft gescheitert sind, des Scheiterns müde sind, nicht mehr wollen, überhaupt mit Institutionen nichts mehr zu tun haben wollen. Es gibt ja auch solche, die selbst die VinziRast nicht akzeptieren können. Die zwar für ein paar Nächte kommen, aber dann wieder gehen und nur in Extremsituationen wieder auftauchen.

Das sind die Menschen, die von Streetworkern in Abrisshäusern gefunden werden, oder in Eisenbahnwaggons etc.?
In WCs sehr oft. Oder in irgendwelchen Kartonverschlägen, die sie sich in Unterführungen oder in irgendwelchen Nischen gebaut haben.

Ich möchte aber zurückkommen auf die Gruppe von Ausländern. Wir haben dann Ausländer auch aufgenommen, weil wir noch Betten frei hatten und die nicht wegschicken wollten. Dann haben wir bald gemerkt, dass sich das herumgesprochen hat, dass es eine sehr billige Unterkunft bei uns ist, weil wir ja einen Euro verlangen - auch nicht von Anfang an, das haben wir mit der Zeit dann eingeführt.

Sie sind als Hotel benützt worden?
So ist es. Es waren dann junge, kräftige, gesunde Menschen in der Regel, die Arbeit gesucht haben. Die zum Teil auch sehr kaputt sind. Wo es schwer fällt, sie wegzuschicken. Deswegen haben wir dann auch die Regelung gefunden, wir nehmen sie für drei Tage auf und sagen ihnen vom ersten Tag an, dass es eben begrenzt ist und dass unsere Zielgruppe eine andere ist.

Wir legen ganz großen Wert darauf, dass es eben nicht, weil sie Ausländer sind... deswegen sind sie nicht schlechter, aber die Zielgruppe ist eine andere. Was sie auch sehr schnell merken. Sie merken ja dann, welche Menschen bei uns schlafen.

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 4. Jänner 2007, 21:01 Uhr

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CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop

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