Übersetzerin Swetlana Geier gestorben

Wenn ein Text zu atmen beginnt

Die renommierte Literaturübersetzerin Swetlana Geier ist tot. Sie starb am späten Sonntagabend in ihrem Haus in Freiburg, teilte der S. Fischer Verlag am Montag mit. Die Schriftstellerin und Übersetzerin wurde 87 Jahre alt.

Swetlana Geier in der Ö1 Reihe "Menschenbilder"

Über die literarische Prägung durch Großmutter und Deutschlehrerin und das Übersetzungsprinzip "Nase hoch"

Die in Kiew geborene Geier galt als eine der bedeutendsten Übersetzerinnen russischer Literatur ins Deutsche. Erst im Mai war in österreichischen Kinos der Dokumentarfilm "Die Frau mit den 5 Elefanten" von Vadim Jendreyko zu sehen. Die "Elefanten" das sind die großen Werke des russischen Schriftstellers Fjodor M. Dostojewskij.

Für die Ö1 Reihe "Menschenbilder" hat Heinz Janisch ein Porträt der Übersetzerin gestaltet, das Sie im Folgenden in der aktualisierten Version lesen können.

Swetlana Geier galt als bedeutendste Vermittlerin russischer Literatur im deutschsprachigen Raum. Ihre Übersetzungen wurden von der Kritik als "Ereignis einer Lebensleistung" gefeiert. Was ihr selbst das Übersetzen bedeutet hat, umschrieb sie mit: "Leben."

"Jede Zeit braucht ihre eigene Übersetzung. Und jede Übersetzung überlebe sich", sagte die in Kiew Geborene. Mehr als 50 Jahre beschäftigte sie sich mit Texten russischer Weltliteraten und gab ihnen ein neues Gesicht.

Löchrige Seiten

"Man muss den Atem eines Textes erfassen", war Swetlana Geier überzeugt. "Ich lese das Buch, das ich übersetzen soll, so oft, bis die Seiten Löcher kriegen. Im Grunde kann ich es auswendig. Dann kommt ein Tag, an dem man plötzlich die Melodie des Textes hört. Wenn ich das Buch fast auswendig kann, dann bin ich bereit. Dann sage ich: So! Und jetzt fange ich an."

Swetlana Geier war eine charismatische Persönlichkeit - mit weißem Haar, ausdrucksstarkem Gesicht und intensiven Augen. Wenn sie sprach, klang sie trotz ihres hohen Alters mädchenhaft jung. Die Regale in ihrem Haus am Stadtrand von Freiburg im Breisgau waren voll mit Büchern, die sie aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt hat: Werke von Tolstoj, Solschenyzin, Platonow, Bunin, Blugakow, Sinjawskij und - Dostojewskij.

Die Elefanten sind da

Unter diesem Titel ist zuletzt das Erscheinen des 800 Seiten starken Romans "Der grüne Junge" in ihrer Übersetzung gefeiert worden. Mit dem letzten der "Elefanten" lieferte sie den fulminanten Abschluss ihrer Neuübersetzung der großen Dostojewskij-Romane. Sie hat auch Dostojewskijs Roman "Schuld und Sühne" in ihrer Neuübersetzung den Titel "Verbrechen und Strafe" gegeben. "Schuld und Sühne" sei ihr zu moralisierend gewesen, betont sie.

Die Kritiker zeigten sich von ihr begeistert: "Es ist das unbestreitbare Verdienst Swetlana Geiers, erkannt zu haben, dass Dostojewskij ein akustischer Autor ist, der seine Romane höchst modern als Stimmentheater entwirft", schrieb etwa Karl-Markus Gauss. Andere lobten: Die Übersetzung bringe frischen Wind in den Text, puste den Staub weg, und das mit gutem Grund, denn so altväterlich und getragen, wie Dostojewskij in manchen frühen Übersetzungen daherkomme, sei das Original nicht.

Über die Neuübersetzung der "Brüder Karamasow" schrieb ein Rezensent, Swetlana Geier habe diesen Text in ein "vibrierendes Deutsch gebracht"; die neuen Dostojewskij-Übersetzungen seien "wie ein gigantischer Teppich, der alle kommenden Winter überdauern wird".

Die Kirche im Dorf lassen

"Man soll nicht über Dostojewskij reden, man soll ihn lesen", sagte Swetlana Geier in dem Porträt im Rahmen der Ö1 Reihe "Menschenbilder". Für sie war der Dichter einer der wichtigsten Wegbereiter der Literatur der Moderne, dessen Wortkunst auf direktem Weg zu Kafka und zu den Autoren von heute führe.

Das Lob der Kritiker und die zahlreichen Auszeichnungen freute sie, aber man müsste die Kirche im Dorf lassen. Übersetzer zu sein, das sei ein höchst sonderbarer, andererseits aber auch unheimlich schwerer Beruf: "Es geht in erster Linie um Literatur. Eine gute Übersetzung hilft nur, die Kraft und Magie dieser Literatur zu spüren." Und im Namen aller Übersetzer wies sie darauf hin, dass diese Arbeit noch lange nicht in dem Maße anerkannt sei, wie sie es verdient hätte.

Nase hoch

Ihrer Ansicht nach darf der Übersetzer nur das übersetzen, was er versteht. Daher sollte man bei der Arbeit "die Nase hochhalten" - nicht aus Arroganz, sondern damit man den ganzen Text in seiner Komplexität überblicke.

In einem Seminar hat sie einmal das literarische Übersetzen mit folgenden Worten umschrieben: "Literatur von einer Sprache in die andere zu übertragen, das ist wie der unendliche Weg zum Haus des Nachbarn". Auf die Frage in einem früheren Interview, was das Übersetzen für sie bedeute, hat Swetlana Geier mit einem Wort geantwortet: "Leben."

Die achtfache Uroma

Seit 1943 lebte Swetlana Geier in Deutschland, wo sie nach Erhalt eines Alexander-von-Humboldt-Stipendiums an der Universität Freiburg das Studium der Literaturwissenschaft und Vergleichenden Sprachwissenschaft abgeschlossen hat. Zehn Jahre später veröffentlicht sie zum ersten Mal eine literarische Übersetzung. In den Jahren davor hatte sie ihren späteren Eheman kennen gelernt.

Service

Buch Fjodor Dostojewskij, "Ein grüner Junge", aus dem Russischen übersetzt von Swetlana Geier, Ammann Verlag

Amman Verlag - Swetlana Geier