Endlich eigenständig

Literaturland Ukraine

Dass viele ukrainische Autoren bei uns nicht als solche gekannt werden, liegt an der Geschichte: Literarisch schält sich die Ukraine erst langsam aus der Ex-USSR heraus. Eine der Vertreterinnen neuer ukrainischer Literatur ist Oksana Sabuschko.

Wo die Ukraine liegt, ist bei uns spätestens nach der "orangen Revolution" klar. Ungefähr wenigstens. Früher wusste man: Dort ist Sowjetunion. Jetzt weiß man: Die Ukraine ist unabhängig. Das ist auch der Grund, weshalb in der Ukraine das abendliche Fernseh-Wetter so sehr geschätzt wird. Oksana Sabuschko, eine der vielen "namhaftesten Autorinnen" der Ukraine, erklärt das so: "Wenn im Fernsehen in den Abendnachrichten die Wetterkarte mit den Umrissen eines Landes auftaucht, gibt es etwas, womit man sich identifizieren kann. Als Teil des Sowjetimperiums gibt es das nicht."

Feldstudien über ukrainischen Sex

Oksana Sabuschko erklärt uns noch viel mehr. Das Grundgefühl aller Ukrainer, Geschlagene zu sein. Warum die Nationalhymne mit den Worten "Ukraine has not died yet" beginnt. Und warum Sex in der Ukraine bzw. mit einem Ukrainer irgendwie doch ein Problem ist. Und sie zeigt uns auch (und wieder einmal!), dass ukrainische Schriftsteller/innen schlau sind: Hätte sie ihren Roman nicht "Feldstudien über ukrainischen Sex" genannt, wer hätte ihn dann lesen mögen?

Aber so wurde das Manuskript schon vor der Drucklegung von LeserIn zu LeserIn weitergegeben, zum Kultbuch erklärt und zum Wurzelstock des ukrainischen Feminismus. Und es ist, so heißt es, immer noch in den ukrainischen Bestsellerlisten zu finden. Was in unseren Breiten eher doch auf Unverständnis stößt. Klar, wir haben ja schon lange Erfahrung mit feministischen Büchern, in denen Sex, gut oder schlecht, die Hauptrolle spielt. Aber die Ukraine?

Einfühlsame Lyrik

Über all dem Gejeiere und Geschimpfe, das bei der Anprangerung ihrer doch zuweilen sehr deutlichen Sprache anfängt und bei ihren langen Schachtelsätzen noch lange nicht aufhört, ging völlig verloren, dass Oksana sehr einfühlsame Lyrik schreibt - und das, obwohl ihr Schriftstellerkollege Juri Andruchowytsch meinte: "Es ist kriminell, nach dem 30. Lebensjahr noch Gedichte zu schreiben!" Diese Ansicht hat er übrigens mittlerweile revidiert. Das ist mittlerweile auch in deutscher Sprache dokumentiert: Eine der wenigen Anthologien zur ukrainischen Literatur trägt den Titel von einem ihrer Gedichte: "Zweiter Anlauf".

Eine Art zweiter Anlauf ist auch ihr jüngster Roman "Museum der vergessenen Geheimnisse" : wortreich und verschlungen arbeitet sich Oksana Sabuschko durch einen Wust an Assoziationen und Verstrickungen quer durch die jüngste Geschichte der Ukraine, um - vielleicht - einem neuen (Selbst-)Verständnis auf die Beine zu helfen, die über das Erscheinen der Ukraine im Wetterbericht hinaus reicht.

Marketing ist alles

Mit einer guten Portion Schläue hievte sich auch einer der anderen "namhaftesten Autoren" in die Bestsellerlisten: Andrej Kurkow. Er wusste, wenn niemand vom Erscheinen seines Romanerstlings weiß, wird ihn auch niemand lesen. Und so nahm er das Marketing selbst in die Hand.

Er begann mit einem Kredit zur Druckfinanzierung, lebte drei Monate lang in der Druckerei und startete eine Plakataktion. Noch vor dem Erscheinen von "Picknick auf dem Eis" wusste jeder in Kiew: Dieses Buch wird "der Bestseller, den alle lesen werden". Und so kam es auch. Vielleicht hat Kurkow die Idee aus der österreichischen Literaturgeschichte, der Plakataktion zum damals neuesten Buch von Leo Perutz "Wohin rollst du, Äpfelchen?", die ebenfalls ungeheure Aufmerksamkeit erregte und das Buch zu einem Bestseller machte.

"Russische" Autoren

Dass viele ukrainische Autoren bei uns nicht als solche gekannt werden, liegt wieder an der Geschichte. Nikolai Gogol war Ukrainer. Aber er lebte in St. Petersburg, schrieb russisch und gilt daher trotz seiner Wurzeln als russischer Schriftsteller. Von anderen, die wie Gogol in St. Petersburg lebten und Russisch schrieben, kennt man hier vielleicht die Namen: Ivan Franko - nach ihm wurde das Städtchen Stanislau umbenannt und heißt nun Iwano-Frankiwsk.

Iwan Kotljarewskyj gilt als Erneuerer der ukrainischen Schriftsprache. Oder Lessja Ukrainka, die das "Waldlied" geschrieben hat, die Romeo-und-Julia-Geschichte der Ukraine. Die Gedichte des Romantikers Taras Schewtschenko haben in der Ukraine heute noch Kultstatus.

Service

Oksana Sabuschko, "Feldstudien über ukrainischen Sex", aus dem Ukrainischen übersetzt von DAJA, Droschl Verlag

Oksana Sabuschko, "Museum der vergessenen Geheimnisse", aus dem Ukrainischen übersetzt von Alexander Kratochwil, Literaturverlag Droschl

Karin Warter und Alois Wolter (Hg.), "Zweiter Anlauf. Ukrainische Literatur heute", Stutz Verlag Passau

Andrej Kurkow, "Herbstfeuer" Diogenes