Weibliche Selbsterfahrung

Das Fenster zum Sommer

"Das Fenster zum Sommer" von Hannelore Valencak ist 1967 erstmals erschienen und nun neu aufgelegt worden. Zu Recht, denn das Buch, diese Schilderung einer differenzierten weiblichen Selbsterfahrung, ist zeitlos und nicht allein den 1960ern verpflichtet.

Ursula ist keine Träumerin, und das weiß sie auch. Umso mehr zweifelt sie an sich selbst, als sie eines Tages aufwacht und sich in einem Zimmer wiederfindet, aus dem sie längst ausgezogen ist. Eigentlich lebt sie schon seit Monaten nicht mehr bei ihrer Tante Priska.

Ursula hat geheiratet und ist mit ihrem Mann Joachim in ein eigenes Haus übersiedelt. Dort hat sie sich, wie jeden Abend, in ihrem neuen Schlafzimmer ins Bett gelegt. Doch als Ursula in der Früh wach wird, greift ihre Hand ins Leere. Kein Joachim weit und breit. Stattdessen liegt sie in jenem Kämmerchen, in dem sie einen Gutteil ihres früheren Lebens verbracht hat. Ursula erschrickt, als sie plötzlich wieder in jenem Alltag steckt, dem sie durch die Ehe mit Joachim entflohen ist. Eine geheimnisvolle Zeitmaschine hat ihr Lebensrad um fünf Monate zurückgedreht.

An Grenzen stoßen

Hannelore Valencaks Roman spielt auf doppeltem Boden. Die Hauptfigur sieht sich dabei zu, wie sie jene Wochen verbringt, auf die Verlobung und Eheschließung folgen. Gleichzeitig erlebt sie diese Zeit mit jenen Erfahrungen im Rücken, die sie schon gemacht hat. Dass sie diesmal ihr eigenes Agieren und Reagieren beobachten kann, dient der Selbsterkenntnis.

"Das Fenster zum Sommer" ist 1967 erstmals erschienen und vor kurzem neu aufgelegt worden ist. Zu Recht, wie die Lektüre nahe legt, denn das Buch, diese Schilderung einer differenzierten weiblichen Selbsterfahrung, ist zeitlos. Dass der Roman nichts von seiner Frische verloren hat und sich nicht in jenen Jahren verhakt, da Emanzipation Kampf und das Ausbrechen aus vorgefertigten Rollenmustern Außenseitertum bedeuteten, scheint erstaunlich.

Ursula bemerkt, wie sehr jeder Mensch in seiner Vergangenheit wurzelt, wie sehr er gefangen ist in der eigenen Haut und der gesellschaftlichen Realität. Nach außen hin stellt sie selbst das dar, was man eine moderne Frau zu nennen pflegt: gebildet, in gehobener Position stehend, ganz gut verdienend. Und doch bleibt der Rahmen der Selbstentfaltung klein, weil Ursula immer wieder an Grenzen stößt. Im Büro, wo das Aufbegehren gegen die subtile Herrschaft der Männerwelt einen Kraftakt bedeutet, und auch bei Tante Priska.

Bedrohliche Ausblicke

Das "Fenster zum Sommer" eröffnet bedrohliche Ausblicke. So bieder und spießig das Ambiente erscheint, in dem der Roman situiert ist, so nachhaltig sind Valencaks Versuche, es zu entlarven und demontieren.

Ursula braucht einige Zeit, um sich in ihrem neuen alten Leben zurechtzufinden. In ihrem Ringen um Klarheit wird sie erstaunlich initiativ und selbstbewusst. Und doch: Eigentlich möchte sich Ursula nur zu gern darauf verlassen, dass ihr Tun ja ohnehin auf Joachim zuläuft, dass die Rettung naht. Doch so einfach funktioniert es nicht, nicht in diesem Roman. Die Zeitmaschine hat andere Pläne, für den Märchenprinzen sind neue Ländereien vorgesehen. Der Traum von der Zweisamkeit zerplatzt. Letztlich ist jeder allein.

Vertrauen in sich selbst

Valencaks Buch verweigert sich dem didaktischen Impetus. Der Roman desillusioniert. In einer Zeit, da sich weibliches Selbstbewusstsein erst langsam zu konstituieren beginnt, ist dieser Ansatz radikal: Überall dort, wo sich Frauen zu sehr in den Armen und Sicherheiten der Männerwelt einrichten, scheitern sie. Allein im Vertrauen in sich und in die eigenen Fähigkeiten liegt die Selbstbestimmung.

Solche Einsichten könnten nun plakativ und reißerisch daherkommen. Nichts von alledem bei Hannelore Valencak. Ihr Roman bleibt kühl, zurückhaltend, ohne psychologische Deutungen oder Appelle. An manchen Stellen mag man sich an Marlen Haushofer erinnert fühlen, an deren Roman "Die Wand" oder "Die Mansarde". Und doch steht Valencak für sich, besondern auch durch ihre Sprache. Sie ist klar und schnörkellos und dringt tief in die Innenhöfe der Bedeutungen. Entsprechend stimmig sind die Versuche, Machtverhältnisse auch in der Sprache festzumachen. Aber auch hier: kein erhobener Zeigefinger, keine Bedienungsanleitung.

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Hannelore Valencak, "Das Fenster zum Sommer", Residenz Verlag