Kaija Saariaho

8. April 2017, 21:58

Kaija Saariaho über Simone Weil

Peter Sellars gefällt an den Kompositionen von Kaija Saariaho, dass es Musik ist, die kein Etikett hat. Dass sich ihre Tongebilde nicht so einfach in die Schublade "Moderne Musik" stecken lassen.

"Zutiefst persönliche Ausdrucksmusik, die aber immer zugänglich bleibt", schreibt die finnische Künstlerin. Musik, die nicht nur einen kleinen Kreis, sondern ein großes Publikum interessiert, und die sich trotzdem niemals vulgär anbiedert.

Legendäre Komponistengruppe

Kaija Saariaho, Jahrgang 1952, ist eine der prominentesten zeitgenössischen Komponistinnen weltweit. In ihrer Heimatstadt Helsinki gründete sie in den 70er-Jahren gemeinsam mit Kollegen wie Magnus Lindberg eine heute legendäre Komponistengruppe mit dem herausfordernden Namen "Korvat Auki" - "Ohren Auf".

Damals rebellierte man gegen die konservativen Postromantiker, die das finnische Musikleben dominierten. Aber später in Deutschland, beim Studium in Freiburg, lernte Kaija Saariaho eine andere Art von Orthodoxie kennen. Irgendwann hatte sie genug davon, dass es in der Avantgardemusik so viele Regeln gab, die eigentlich Verbote waren. Man sollte rhythmische Muster vermeiden, tonale Anklänge vermeiden - aber Musik, so wendet sie ein, "kann doch nicht über Negationen definiert werden".

Klänge als Farben und Texturen

Bei Kaija Saariaho beginnt die Konzeption eines Werkes manchmal mit einem Pinselstrich auf Papier - so skizziert sie die spätere Gestalt, den Verlauf einer Form. Sie sieht Klänge vor ihrem inneren Auge als Farben und Texturen.

Zusammenarbeit mit Sellars und Malouf

Ihr Musiktheater verdankt sich zum Teil den Anregungen von Peter Sellars, wie sie selbst sagt, und dem künstlerischen Dialog mit dem libanesischen Exilautor Amin Malouf, der wie sie selbst in Paris lebt.

Ihre erste Oper, "L'amour de loin", "Die Liebe aus der Ferne", war ein großer Erfolg der Salzburger Festspiele vor sechs Jahren. In ihrem zweiten, in Paris uraufgeführten Musikdrama, "Adriana mater", wandte sie sich erstmals einem politischen Sujet zu: Vor dem Hintergrund eines Bürgerkriegs entwickelt sich die Geschichte eines Jünglings, der einer Vergewaltigung entstammt.

Oper über Simone Weil

Für das Festival New Crowned Hope hat sie, wieder zusammen mit Amin Malouf, "La Passion de Simone" geschaffen. Das Werk für Sopran, Chor, Elektronik und Orchester vergegenwärtigt das Leben und die geistige Welt der französisch-jüdischen Philosophin, Mathematikerin und Mystikerin Simone Weil.

Schon in jungen Jahren bewunderte Kaija Saariaho diese 1943 verstorbene Denkerin, die ihr kurzes Leben dem Engagement für soziale Gerechtigkeit und der Suche nach intellektuellen und spirituellen Wahrheiten widmete. Im Grunde habe Simone Weil das Geheimrezept finden wollen, das Leiden der Welt zu stoppen.

Zu Tode gehungert

Nach ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten wollte sich Simone Weil von England aus einer Widerstandsgruppe anschließen, wurde aber nicht akzeptiert, offenbar weil sie den Aktivisten zu weltfremd wirkte; daraufhin hungerte sie sich zu Tode. Simone Weil sei ein extrem teilnahmsvoller Mensch gewesen - und sie ging wohl daran zu Grunde, dass sie ihre sozialen Träume nicht verwirklichen konnte.

Damit schließt sich der Kreis zu Mozart, an dessen politische Haltung als Künstler das Festival New Crowned Hope anknüpft. Allzu oft wird Mozart vor allem als Komponist des Adels gesehen; an den Höfen verdiente er sein Brot - doch er sei sich der Welt um ihn herum sehr bewusst gewesen, ist sich Saariaho sicher.