Putin überall

Medien in Russland

Von redaktioneller Unabhängigkeit ist in Russland 25 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht mehr viel zu merken. Kritische Berichterstattung - vor allem im Fernsehen - wird von Putins Selbstinszenierungsmaschinerie verhindert.

Zappen im russischen Fernsehen ist ein begrenztes Vergnügen: Trotz der schier unbegrenzten Zahl an Kanälen und Sendern bringen alle dasselbe: Werbung, Softporno, Werbung, dieselben ewigen Gangsterserien, die sich zurzeit besonders großer Beliebtheit erfreuen und immer brutaler und fantastischer werden.

Spätnachts wird im Staatsfernsehen klug wie kaum wo in der Welt von führenden Intellektuellen übers Essen geredet, oder man findet am selben Kulturkanal eine Reportage über die Hungersnot des Jahres 1947.

Keine Nachrichten ohne Putin

"Es gibt keine einzige Nachrichtensendung im Staatsfernsehen, in der Putin nicht irgendjemand trifft, jemandem die Hand schüttelt, oder wo nicht ein Zitat von ihm vorkommt", so Anna Katschjkajewa, Inhaberin eines Lehrstuhls an der Journalisten-Fakultät der Moskauer Staatsuniversität. "Putin ist der Hauptheld, ein richtiger Medienstar. Er stellt die Macht und den Ruhm und die Kraft dar, und den Zaren, der alles entscheidet."

Anna Katschjkajewa beschäftigt sich als Fernsehkritikerin bei "Radio Svoboda" regelmäßig mit dem russischen Staatsfernsehen. Dessen Entwicklung während der letzten Jahre sieht sie düster: Es erinnere mittlerweile an das sowjetische Fernsehen vor 20 Jahren. Mit dem realen Leben der Bürger des Landes habe das Ganze nichts mehr etwas zu tun.

Den Vorwurf, dass es in Russland um die Freiheit des Wortes schlecht bestellt sei, weist Putin rigoros zurück: Wer den Unterschied zur Sowjetzeit nicht erkenne, verstehe nichts. Putins Argument, dass die Medienherrschaft der Oligarchen von vor zehn Jahren heute der höheren Freiheit des Gesamtwohls gewichen sei, dieses Argument wird in den folgenden Tagen auf Radio Svoboda mehrfach recht sarkastisch kommentiert, darunter von ehemaligen russischen Presseministern, die auch schon keine Hardliner der Pressefreiheit waren.

So genannte Pressekonferenzen

An Wladimir Putin, an den man keine kritischen Fragen mehr stellen kann, führt heute kein Weg vorbei. Die einfache und effektive Art seiner Medienpolitik in Form so gennanter "Pressekonferenzen" beschreibt Masha Gessen, Mitarbeiterin von Radio Svoboda, so:

"Es werden riesige Treffen mit der so genannten Gesellschaft organisiert, da kommen dann 300 oder mehr Journalisten hin. Und es gibt eigene Treffen mit ausländischen Journalisten. Für die Treffen mit den russischen Journalisten muss man sich lange vorher anmelden; die Fragen werden vorformuliert oder sie werden überhaupt gleich vorgegeben. Stellt ein Journalist eine Frage, die er dem Pressedienst des Präsidenten nicht vorgelegt hat, wird er in Hinkunft einfach nicht mehr eingeladen. Mit den Ausländern geht das nicht so einfach, deshalb werden ausländische Journalisten, die sie nicht mögen, einfach nicht eingeladen."

Als Mitbegründerin der Internet-Zeitung "Bolschoj Gorod" - "Die große Stadt" - setzt Masha Gessen heute, wie sie sagt, eher auf Humor und "ästhetische Opposition" - nebenbei das Beste was man über das Leben in Moskau lesen kann. In gewisser Weise fast eine Form der Normalisierung.

Weg vom Fernsehen

Alle Journalisten, die noch etwas Kritisches machen wollen, sind längst aus dem Fernsehen verschwunden und arbeiten entweder im Radio, in irgendwelchen Journalen oder Zeitungen, bekommt man heute in Moskau üblicherweise zu hören. Von der monopolistischen Pressemacht der "Prawda" und der "Iswestja" ist nichts geblieben; geht man durch Moskau möchte man sogar Wladimir Putins Erklärung beim Zeitungsforum, wonach es 4.000 verschiedene Medien gebe, die ob ihrer großen Anzahl doch niemand mehr kontrollieren könne, fast glauben. Zeitungsstände überall, Hochglanzmagazine wie überall in der Welt, und die Leute kaufen dasselbe wie überall. Am meisten gefragt sind Autozeitungen, exklusives Wohnen, Kinderzeitungen und Fantasie.

"Reine Imitationen"

Anna Katschkajewa sieht im vorauseilenden Gehorsam zahlloser Journalisten eines der Grundübel der heutigen Mediensituation: "Bei uns gibt es Journalisten, die ehrlich glauben, dass Russlands Größe nur dank Putin wiederersteht, dass Russland wirklich nur von Feinden umgeben ist, dass der Westen Russland nur Böses will, dass in der weltweiten Konkurrenz alle nur Russlands Zerfall und Niedergang wollen. Es gibt solche Journalisten, aber: Das ist die Minderheit. Die Mehrheit besteht aus Zynikern. Die Journalisten bringen reine Imitationen hervor. Gut, mir wäre es recht, wenn sie davon überzeugt sind, das sind sie aber nicht! Sie tun das Eine, denken etwas anderes und etwas Drittes schreiben sie dann! Um 8:00 Uhr abends schließen sie dann ihr kleines Häuschen zu und denken: 'Was habe ich heute wieder für eine Scheiße gemacht. Na ja, was soll's, meinen Gehalt bekomme ich auch so.' Das ist widerwärtig!"

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 13. Jänner 2007, 17:05 Uhr

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Links
Radio Svoboda (Russisch)
Bolschoj Gorod (Russisch)