Im Schatten der Familie

Sophie Freuds Memoiren

Die Psychologin Sophie Freud, Enkelin von Sigmund Freud, hat die Lebenserinnerungen ihrer Mutter, Esti Freud, veröffentlicht. Stationen sind das Wiener Bürgertum des Fin de Siècle, die Flucht vor dem Nationalsozialismus und der Neuanfang in den USA.

"Ich hatte sie ermutigt, ihre Autobiografie zu schreiben. Nachdem sie dann meinen Geschwistern und mir das Buch geschickt hatte, kritisierten wir alle es und sagten ihr, dass sie eine unmögliche Frau sei. Dann fand ich 40 Briefe, die sie ihrem Bräutigam, Martin Freud, geschickt hatte. Und ich fand das Tagebuch, das ich selbst während des Kriegs in Frankreich geführt hatte. Ich dachte, das soll alles nicht verloren gehen."

Schwierige Mutter-Tochter-Beziehung

Schon die Entstehungsgeschichte von "Im Schatten der Familie Freud" spricht Bände über die komplizierten Familienverhältnisse im Haus des Begründers der Psychoanalyse. Sophie Freud, die Tochter von Sigmund Freuds ältestem Sohn Martin, hat die Lebenserinnerungen ihrer Mutter Esti, mit kritischen Anmerkungen versehen, veröffentlicht. Wichtigste Stationen ihres Lebenswegs sind das Wiener Bürgertum des Fin de Siècle, die Flucht vor dem Nationalsozialismus über Frankreich und Casablanca und der Neuanfang in den USA.

Das Thema Kindererziehung spielt eine große Rolle in Sophie Freuds Buch. Ihre Mutter galt als sehr schwierige Person. Als tüchtig und selbständig, aber verbittert wird sie von ihren Kindern beschrieben. Erst nach ihrem Tod hat sich Sophie Freud ganz mit ihr ausgesöhnt: "Es ist leichter tote Menschen zu lieben, als die, die noch leben", sagt sie dazu im Gespräch mit Johann Kneihs.

Sonntäglich Rituale

Die Erinnerungen an ihren Großvater Sigmund Freud fallen dagegen sonniger aus: der Besuch am Sonntag Vormittag war ein Ritual im Hause Freud. "Er war eine verehrte Figur in der ganzen Familie - eher distanziert, aber auch liebevoll." Als schützende Gegenwart empfand ihn die junge Sophie Freud. Mit einem Wangenzwicken begrüßte er sie.

Verunglimpfter Penisneid

Später, nachdem sie selbst die akademische Karriere eingeschlagen hatte und in Boston Sozialpädagogik und Psychologie unterrichtete, entwickelte sie kritische Distanz zur Lehre Freuds und erwarb sich - zumindest unter orthodoxen Freudianern - den Ruf eines Enfant terrible. Vor allem die weibliche Sexualität betreffend, hatte sie ihre eigenen Ansichten. Der von Freud postulierte "Penisneid" erschien ihr unsinnig. "Wahrscheinlich wollten dir Frauen Männer sein, weil Männer mehr Privilegien hatten", meint sie dazu.

Anachronistische Sexbesessenheit

Auch die Tatsache, dass Sigmund Freud vom Mann als dem Normalfall ausging und der Frau den Sonderstatus eines "geheimnisvollen Kontinents" einräumte, betrachtet seine Enkelin eher von einem kulturgeschichtlichen, als von einem psychologischen Standpunkt aus als interessant.

"Jede Kritik, die ich ausgeübt habe, wurde nach fünf bis zehn Jahren offiziell von der psychoanalytischen Gesellschaft angenommen. Wir sprechen schließlich von 80 bis 100 Jahre alten Theorien. Das sich daran nichts geändert hätte, wäre ja unmöglich. Freud war unbedingt ein Kind seiner Zeit, des 19. Jahrhunderts - und dieses war eben sexbesessen."

Gegen den Freudkult...

Auch heute noch sehen viele kritische Stimmen es als Familienilloyalität, dass Sophie Freud manche Thesen ihres großen Vorfahren offen angreift. Die Freud-Enkelin spricht sich jedoch gegen jede Form von Personenkult aus. Gerade die Freudanbetung lenke ihrer Meinung nach zuviel Aufmerksamkeit auf Psyche und Innenleben, wodurch gesellschaftliche Problematiken wie strukturelle Gewalt außer Acht gerieten.

Eine späte Antwort auf die letzten Briefe, die der Großvater vor 60 Jahren an sie geschrieben hatte, findet sich ebenfalls in "Im Schatten der Familie Freud".

... und den amerikanischen Materialismus

Auch mit kritischen Äußerungen über die amerikanische Lebensart und Politik hält sich Sophie Freud nicht zurück: "Der Materialismus in Amerika ist mir unangenehm. Ich bin eher asketisch gesinnt. Alle lachen über mich, weil ich mich weigere, Taxis zu nehmen und nicht in großen Hotels leben will. Mir ist Verschwendung richtig unangenehm. Ich will die Ressourcen der Welt sparen, nicht nur mein eigenes Geld."

Die sieben freud'schen Generationen

Zentrale Frage des Buchs ist die, was eine Generation der nächsten weitergibt. Laut Sigmund Freud braucht es sieben Generationen, bis Verletzungen ausgeheilt sind. "Mir ist es wichtig, dass die Rache nicht immer weitergeht.", sagt dazu seine Enkelin. "Dass man einen Neubeginn mit neuen Generationen macht. Wenn ich voller Groll hierher käme, darüber, was man meinen Ahnen angetan hat, würde es immer so weitergehen. Ich bin der Meinung, wir sollten die sieben Generationen verkürzen. Niemand ist nicht schuld an dem, was seine Eltern getan haben."

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung "Von Tag zu Tag" vom 7. Juni 2006 nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipp
Sophie Freud, "Im Schatten der Familie Freud", Claassen Verlag, 2006, ISBN 3546003985

Links
Sigmund Freud Museum Wien
Freud-Institut