Reduktion auf das Wesentliche

Herr Faustini verreist

Herr Faustini ist ein "Miniaturreisender aus Leidenschaft". Auch Wolfgang Hermanns versucht sein Glück mit dem Minimum. Worum es dem Autor mit seinem liebenswürdigen Protagonisten in erster Linie geht, ist die Reduktion auf das Wesentliche.

Herr Faustini, ein sensibler älterer Herr, der alleine in einem Haus Nahe Bregenz lebt, ist ein "Miniaturreisender aus Leidenschaft", wie er sich selbst bezeichnet. Er verreist täglich, und zwar auf allerkleinstem Raum, sodass keiner bemerkt, dass er wieder verreist ist. Diese Reisen führen ihn nach Bregenz, manchmal sogar ein bisschen weiter. Er verbringt seine Tage in öffentlichen Verkehrsmitteln, und: Er ist ein außerordentlich aufmerksamer Beobachter. Als ihn seine Schwester zu sich ins Tessin einlädt, steht er vor der ersten größeren Reise seit vielen Jahren.

Wider die Schnelllebigkeit

Auch der Autor Wolfgang Hermann versucht sein Glück mit dem Minimum. Die Geschichte des dünnen Buchbandes ist in drei Sätzen erzählt, die Figuren bleiben überschaubar. Worum es ihm mit seinem liebenswürdigen Protagonisten in erster Linie geht, ist die Reduktion aufs Wesentliche. Das "Recht auf Muße, das Recht auf Langeweile", wie er schreibt.

Ohne jemals wirklich direkt oder gar scharf zu werden, kritisiert er die Schnelllebigkeit unserer Zeit, das herrschende Wertesystem, diese "in Aktienpakete und Wellness-Wochenenden verwandelte Welt". Ist Wolfgang Hermann ein Kulturpessimist? "Wahrscheinlich schon, aber nur als Reaktion auf Kulturoptimisten", ist seine Antwort.

Naiver Antiheld

Die Form, die er wählt, um die Welt zu beschreiben und Kritik zu üben, hat eine lange Tradition: Er entlarvt ein bestehendes System mit Hilfe eines naiven, demütigen, fast kindlichen Antihelden.

"Das ist das Privileg Faustinis: Er ist zu naiv, zu ungebildet, zu dumm für diese Welt," sagt der Autor über seine Figur. "In dieser Einfachheit durchschaut er die Welt besser als andere, die eingebunden sind."

Alles hat Bedeutung

Jede Begegnung, jede Begebenheit, alles auf Faustinis kleinen Reisen hat Bedeutung. Wolfgang Hermann konzentriert sich auf eine nicht wertende, respektvolle und Menschen liebende, teilweise fast schon religiöse Sprache. Geht es dem Autor mit diesem literatischen Kleinod eigentlich um Erleuchtung?

"Jeder kennt Erlebnisse der Erleuchtung, profane Erleuchtung. Sobald das zur Religion wird, institutionalisiert wird, ist der Zauber weg", findet Wolfgang Hermann.

Ein Hauch von "Früher war alles besser"

Mit "Herr Faustini verreist" erklärt Wolfgang Hermann auf weise, ruhige und ganz und gar unaufdringliche Art und Weise die Welt, so wie er sie sieht. Stellenweise ist es zu weich, die Kritik zu schwammig, ein Hauch von "Früher war alles besser" ständig zwischen den Sätzen. Erst wenn man sich auf Faustinis Geschwindigkeit einlässt, werden die Qualitäten dieser Miniatur sichtbar. Geht der kleine Prinz einmal in Pension, dann wird er sich vermutlich wunderbar mit Herrn Faustini verstehen.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 4. Juni 2006, 18:15 Uhr

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Download-Tipp
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Buch-Tipp
Wolfgang Hermann, "Herr Faustini verreist", Deuticke Verlag, ISBN 3552060251