Kein Ende neuer Funde in Sicht

Über die Geschwindigkeit von Wundern

Es scheint, dass es in Süd-Osteuropa eine starke Neigung zum Fabulieren gibt. Und ab und zu lancieren hier die Medien seltsame archäologische Funde oder "Wunder" wirkende Pflanzen. Natürlich haben diese "Mysterien" auch eine ökonomische Seite.

Nur ein paar Beispiele aus den letzten Dezennien des 20. Jahrhunderts reichen, um zu zeigen, wie erfolgreich eigentlich die "Erfinder" mit ihren Wundern sind.

Das Städtchen Kladanj, etwa 50 Kilometer nördlich von Sarajevo, wurde durch "Muska voda" - "Männerwasser" - weltweit bekannt. Die Flasche, in der das "Wunderwasser" angeboten wurde, war in Form eines muskulösen Mannes gestaltet, der eindeutig auf die "Wirkung" dieses Wassers aufmerksam machte.

Die Wunder von Medjugorje

Ein bis dato unbekannter Ort in Herzegowina wurde auf Anhieb in die Reihe der großen katholischen Pilger-Orte aufgenommen. Auf der österreichischen Web-Seite von Medjugorje ist zu lesen:

"Seit geraumer Zeit erklären in Medjugorje sechs glaubwürdige Zeugen und bekräftigen diese Erklärung unter Eid, dass ihnen seit dem 24. Juni 1981 die Gottesmutter oder die 'Gospa', wie sie hier besser bekannt ist, jeden Tag bis heute erscheint". Und bis heute strömen unzählige Gläubige nach Medjugorje, das sich seit 1981 in ein sehenswürdiges Wallfahrtsgebiet entwickelte.

Troja - im Gebiet von Mostar

Aus schwer durchschaubaren Gründen sind die Menschen in Herzegowina von Troja tief beeindruckt. Im Laufe der Jahrzehnte wurden dort bereits mehrere Trojas entdeckt. Das bekannteste Troja im Gebiet von Herzegowina liegt in Gabela, einer Siedlung südlich von Mostar.

Der mexikanische Homer-Gelehrte Roberto Salinas Price behauptet in seinen Werken, dass das "wahre" Troja eigentlich in dieser Region, in der Mündung des Flusses Neretva, liegt. Diese Theorie fand selbstverständlich eine Menge Befürworter bei lokalen "Kennern" der Homer-Geschichten. Sie wehren sich gegen jeden Zweifel an ihrer Auffassung, wie sie auch Heinrich Schliemann seinerzeit mit seinen Troja-Ausgrabungen am Hellespont hatte.

Die Sonnenpyramiden - nahe Sarajevo

Geschäftsmann Sam (die bosnische Variante des Namens lautet Semir) Osmanagic, der bosnische Däniken, wie ihn einige nennen, ist in seiner Freizeit ein leidenschaftlicher Archäologe. Seine Firma in Houston produziert Metallkonstruktionen und er, "ein Verliebter in alte Zivilisationen", schreibt Bücher über Archäologie. Seine Erfahrungen auf diesem Gebiet krönt er jetzt mit seiner Theorie über die bosnischen Sonnenpyramiden.

"Bosnien hat seit dem Krieg nie so viele Journalisten gesehen", sagt Osmanagic, der Medienberichten zufolge mit einem Indiana-Jones-Hut auf dem Kopf die Gegend durchstreift. "Seine" Pyramiden in Visoko, etwa 25 Kilometer nordwestlich von Sarajevo, hat Bosnien-Herzegowina in einen Fieberähnlichen Zustand versetzt. Alle sprechen darüber, alle möchten die Ausgrabungsstelle besuchen. Und es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass man dort bereits die passenden Souvenirs kaufen kann.

Die Cheops-Pyramide - ein "Zwerg"

Die Pyramiden sollen nach Schätzungen von Osmanagic zwölf bis 20 Tausend Jahre alt sein. Die größte ist 240 Meter hoch - und damit die höchste Pyramide der Welt. Die Cheops-Pyramide, die bisher höchste, hat nur 146 Meter Höhe und ist im Vergleich mit der Pyramide in Visoko "ein Zwerg", wie das die Medien in Bosnien bildhaft beschreiben.

Trotz heftigen Protesten und Zweifeln mancher weniger "alternativer" Wissenschaftskreise aus Bosnien Herzegowina scheint es, dass der Staat auch großes Interesse für das Osmanagic-Projekt hat. Die Politiker besuchen den Fundort und lassen sich in die alten Zivilisationen einführen. Sie versprechen auch finanzielle Hilfe für weitere Ausgrabungsarbeiten, die nach Meinung einiger Professoren besser für etwas "bescheidenere" archäologische Projekte in Bosnien Herzegowina verwenden werden sollte.

Wirtschaftliche Seiten der Mysterien

Ob das "Wunderwasser" aus Kladanj wirklich hilft, können wahrscheinlich nur die "Patienten" beantworten. Ebenso ist es mit den Erscheinungen der Mutter Gottes in Medjugorje. Troja (es sollte besser, wenn es um Bosnien Herzegowina geht, im Plural stehen) und die Pyramiden sind noch zu beweisen.

Eines ist aber sicher: jedes "neue Mysterium" bringt den Menschen, die dort leben, sichtbare wirtschaftliche Prosperität. Die jeweiligen Ort der "Wunder" und deren Umgebung sind mit touristischem Leben erfüllt. Mit allen Vorteilen, von denen sie sonst nicht einmal träumen könnten. Aus unansehnlichen, unbekannten Orten sind so weltberühmte Touristen-Ziele geworden. Und natürlich wehren sich die dort lebenden Menschen gegen alles und jeden, die an diesen "Mysterien" zweifeln.

Epilog

Die Sonnenpyramiden in Visoko sind noch nicht ausgegraben worden - und schon kommt eine neue Sensation aus Bosnien Herzegowina: "Entdecker" haben Berichten der bosnischen Medienagentur ONASA zufolge "riesengroße Steinkugeln" gefunden.

Die Kugeln - bisher wurden 20 gefunden - sind "mehrere Tonnen" schwer, vier Meter breit und etwa ein bis zwei Meter hoch. Es ist nicht bekannt, wann und für welche Zwecke diese Kugeln gemacht wurden. Und auch Sam "Semir" Osmanagic hat bereits sein Interesse an diesem Fund bekundet. Ähnliche Kugeln wurden übrigens davor in Mexiko und Kostarika gefunden.

Links
Wikipedia - Cheops-Pyramide
Wikipedia - Troia
Medjugorje