Lange Arbeitswege - niedrige Löhne

Unterwegs mit den Billa-Frauen

Die Billa-Kassierinnen sind zum politischen Begriff geworden: Sie stehen für jene Arbeitskräfte, die für wenig Geld viel arbeiten. Die Arbeitsbedingungen sind in letzter Zeit besser geworden. Doch nach wie vor ist der Weg weit zur Arbeit.

Statement Sylvia Gartner, ÖGB-Vorsitzende im Burgenland

Sie kommen mit Firmenbussen aus den umliegenden Bundesländern zum Arbeitsplatz. Fahrten bis zu drei Stunden sind keine Seltenheit. Denn Billa-PendlerInnen, die im Schnitt 30 Stunden pro Woche arbeiten, sind etwa die Hälfte jener Zeit zusätzlich unterwegs.

877,80 Euro brutto

14 Stunden Arbeitsweg für 30 Stunden Arbeit sind keine Seltenheit für Bus-PendlerInnen, die aus Niederösterreich, dem Burgenland oder der Steiermark zu ihren Filialen nach Wien fahren müssen. Etwa jede siebente Billa-Verkäuferin muss diese erschwerten Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen. Manche davon sind wöchentlich bis zu 54 Stunden unterwegs.

Der Verdienst für eine 30-Stunden-Kraft im Handel beträgt derzeit laut Kollektivvertrag im dritten Berufsjahr 877,80 Euro; nach zehn Jahren sind es 1.023 Euro. Der finanzielle Anreiz, in dieser Niedriglohnbranche zu arbeiten, kann es also auch nicht sein. Welche Beweggründe sind es dann?

Ein Tag im Leben einer Pendlerfamilie

Frau M., wohnhaft in der Gegend von Stegersbach im Südburgenland, steht um 3:45 Uhr in der Früh auf. Um 4:15 Uhr setzt sie sich in ihr Auto, zwanzig Minuten später steht sie an der Sammelhaltestelle, wo der Billa-Bus seine MitarbeiterInnen abholt. Spätabends gegen 21:30 Uhr wird sie dort wieder aussteigen und kurz vor 22 Uhr daheim ankommen.

Ihr Mann ist dann bereits im zweiten Auto der Familie unterwegs zur Nachtschicht in einem Betrieb in Fürstenfeld. Kommt er aus der Nachtschicht gegen 5:30 Uhr früh zurück, übernimmt er an Tagen, an denen seine Frau in Wien ist, die Kinder, weckt sie auf, sorgt dafür, dass sie in die Schule und Kindergarten kommen. Am Vormittag schläft er dann bis zum frühen Nachmittag, schaut dann weiter auf die Kinder, bis seine Frau nach Hause kommt.

Die Lücken in der Kinderbetreuung füllt die Schwiegermutter, die auch bei Billa in Wien arbeitet. Der Schwiegervater kommt zum Einsatz, wenn sich Frau M. bei Eis und Schnee gelegentlich nicht traut, frühmorgens selbst mit dem Auto zum Bus zu fahren; dann steht er früher auf und bringt die Schwiegertochter zur Sammelstelle, bevor er selbst zur Arbeit fährt.

Erwerbsarbeit am Beispiel Burgenland

Neben den lokalen Arbeitsplätzen fehlt in den Bundesländern oft auch das nötige Angebot an öffentlichen Verkehrsverbindungen: "Wir hätten nicht gedacht, dass wir einer Fließbandarbeit einmal so nachweinen werden“, erklärt etwa die Vorsitzende des ÖGB Burgenland, Sylvia Gartner, und spricht damit einen grundlegenden Strukturwandel am burgenländischen Arbeitsmarkt an, der vor allem Frauen trifft: Industriebetriebe, die sozial abgesicherte Vollzeit-Arbeitsplätze zu geregelten Zeiten geboten haben, siedeln ab oder reduzieren die Zahl ihrer Beschäftigten:

"Viele EU-Fördermittel sind in den Tourismus geflossen, die Thermenregionen haben geboomt. Die neu geschaffenen Arbeitsplätze liegen aber im Niedriglohnbereich. Es sind Arbeitsplätze, die sehr viel Flexibilität erfordern: Samstagarbeit, Sonntagarbeit, Arbeit bis in die späten Abendstunden. Die Frauen arbeiten als Stubenmädchen, als Küchenhilfen, als Servierhilfen“, weiß Sylvia Gartner. Ähnlich sei die Situation im Handel: 900 Arbeitsplätze seien im Outletcenter Parndorf auf einen Schlag geschaffen worden, allerdings fast ausschließlich Teilzeitarbeitsplätze. Im Lebensmittel-Bereich bekomme man fast nur noch 12 oder 18 Stunden angeboten.

Teilzeitarbeit boomt

Das Burgenland liegt im Bundesländer-Vergleich an der Spitze, was die positive Entwicklung der Zahl der Unselbständig-Beschäftigten betrifft. Allerdings: Die Zahl der Teilzeit- und Geringfügig-Beschäftigten hat sich zwischen 1991 und 2001 mehr als verdoppelt.

93 Prozent der Teilzeitbeschäftigten und 80 Prozent der Geringfügig-Beschäftigten sind weiblich. Hinzu komme der Druck, den die Grenzgänger aus den osteuropäischen Nachbarstaaten auf den Arbeitsmarkt machen. Ihre Zahl sei im Burgenland seit 1999 von 500 auf mehr als 2.000 gestiegen - mit Auswirkungen auch auf den Lehrstellenmarkt, meint Gartner und fügt hinzu: "Bevor sich der Dienstgeber einen Lehrling nimmt und ausbildet, nimmt er sich eine ungarische Hilfskraft“. Hilfsarbeiterjobs - so die ÖGB-Vorsitzende - seien für die ansässige Bevölkerung so gut wie nicht mehr zu bekommen.

AK-Beratungsstelle

Trotz der erschwerten Bedingungen schätzen die Billa-Pendlerinnen ihren Arbeitgeber. Ihre Begründung: 30 garantierte, geregelte Stunden Arbeit die Woche, der Transport sei organisiert und kostenfrei. Kritik ist kaum öffentlich zu hören. Dennoch häuften sich die Beschwerden von Billa-Angestellten bei Gewerkschaft und Arbeiterkammer. Daher wurde in Wien-Liesung im Frühjahr 2004 eine eigene Beratungsstelle der AK für Billa- und andere MitarbeiterInnen des REWE-Konzerns eingerichtet.

Aussagen eines ehemaligen Billa-Managers hatten damals eine breite Medien-Berichterstattung über Verletzungen des Arbeitsrechts durch den Konzern ausgelöst. Florian Czech, Regionalsekretär der GPA und mit der Causa Billa betraut, bestätigt: "Teilweise gab es Druck, gewisse Stunden, die über das erlaubte Maß hinausgingen, nicht zu dokumentieren, damit man das nicht nachkontrollieren konnte. Das ist jetzt besser geregelt". Auch Thomas Aufner, Leiter der Liesinger Außenstelle der AK, meint: "Mit dem Modell 'task force' - einerseits Beratung vor Ort, gemeinsam mit dem Betriebsrat, der die Fälle auch zur weiteren Beratung mitnimmt, plus allenfalls dort, wo es notwendig ist, eine schriftliche Intervention an den REWE-Konzern mit Erläuterungen - ist es uns gelungen, fast alle Fälle außergerichtlich zu bereinigen".

REWE-Öffentlichkeitsarbeit

Florian Czech beobachtet seither auch das wachsende Vertrauen der Beschäftigten, sich in Arbeitsrechts-Angelegenheiten zu Wort zu melden, während REWE-Personaldirektor Johannes Zimmerl diesbezüglich noch nie eine Scheu bei den Konzern-Angestellten beobachtet haben will, vielmehr eine neue "Sensibilität auf beiden Seiten“ lobt, "Probleme gleich vor Ort zu lösen und sich ernsthaft ihrer anzunehmen“.

Der REWE-Konzern ist auch anderweitig in die Offensive gegangen. Seit Jänner 2005 betreibt er professionelle Öffentlichkeitsarbeit: "Die Motivation seitens großer Konzerne, sich so zu verhalten, ist natürlich die, dass die kein negatives Image brauchen können“, meint Florian Czech. Und: "Es spricht ja nichts dagegen, dass REWE einmal der Vorzeigekonzern einer ganzen Branche wird“.

Keine andere Chance?

Die Pendlerinnen sprechen jedenfalls derzeit nicht von Unrecht oder Mühsal. Selbst die ausgedehnten täglichen Reisezeiten scheinen sie nicht zu belasten: Man kennt nichts anderes, man gewöhnt sich. Dennoch gibt's natürlich unter den Billa-Verkäuferinnen noch immer große Unterschiede.

Der Leiter einer Wiener Filiale hat kürzlich in einem Zeitungsinterview festgestellt, dass die Arbeitsleistung von Buspendlerinnen 30- bis 50-mal höher sei als die von Mitarbeiterinnen aus Wien, was die Frauen sofort bestätigen:: "Die schmeißen die Arbeit schnell wieder weg, wenn was net passt“. Kurz blitzt doch so etwas wie Arbeitsleid, wie Resignation auf: "Aber was sollen wir machen? Wir halten halt durch. Wir haben keine andere Chance“.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Donnerstag, 4. Jänner 2007, 18:25 Uhr

Link
Billa heute