Angestrebt ist ein Gesamtkunstwerk

Alfred Treiber, Ö1 Programmchef

Als Programmchef eines Senders hört man das Programm natürlich mit etwas anderen Ohren als "normale" Hörerinnen und Hörer. Die Aufgabe "seines" Ö1 sieht er im Produzieren von "Vernünftigem im großen Ozean von Unsinn rundherum".

Es ist eine lebenslange Obsession, ich wollte sehr schnell nichts anderes. Warum? Radio ist ein schnelles und vielfältiges Medium. Ich kann sehr viel mehr transportieren als "nur" mit dem geschriebenen Wort, und bin nicht so von der Technik und anderen Umständen abhängig wie beim Fernsehen. Mit Leuten zu reden, bis sie irgendwann anfangen, sozusagen ihr Innerstes nach außen zu kehren, dafür gibt es kein besseres Medium, und das interessiert mich als Journalisten am allermeisten.

Was ich unter Journalismus verstehe, hat auch immer etwas mit Kunst zu tun. Als ich vor mehr als zehn Jahren Programmchef wurde, war klar, das ist eine andere Aufgabe. Trotzdem: Angestrebt ist ein Gesamtkunstwerk. Angestrebt ist auch, etwas übertrieben formuliert, dass das, was in Ö1 nicht vorkommt, nicht wichtig sein kann. Spartensender und Leute, die sich nur für Musik interessieren oder nur für die Tagespolitik, das sind für mich amputierte Menschen. Das Wesentliche an Ö1 ist, dass wir eine ganzheitliche Sicht der Dinge haben.

Wie ich Ö1 höre? Ich habe tagsüber alle Hände voll zu tun und kann daher das Programm zu dieser Zeit schwer verfolgen. Ich muss mir gewisse Schwerpunkte setzen, die ich mir dann konzentriert anhöre, muss mich darauf verlassen, dass die Mann-/Frauschaft so gut funktioniert, dass es eine Art ständige Selbstkritik gibt, und dass Leute meines Vertrauens mich auf gewisse Dinge aufmerksam machen. Zufrieden bin ich, wenn die Sendungen das erfüllen, wofür sie erfunden worden sind: Features z. B. sollen spannend und kunstvoll sein, Informationssendungen seriös. Ich liebe die Sendungen, die mir Raum zum eigenen Denken lassen. Ich hasse alle Arten der Agitation, das ist eine Beleidigung meiner Intelligenz.

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Lukas Beck