Eine Sendung zum 100. Geburtstag Kurt Gödels

Die rotierende Welt des "Herrn Warum"

Warum ist die Zeit nicht nur relativ, sondern vielleicht überhaupt eine Illusion? Diese Frage stellt sich, nachdem Gödel aus Albert Einsteins Gleichungen einen Kosmos entworfen hatte, der sich dreht und in dem Reisen in die Vergangenheit möglich sind.

"Warum hast du so eine große Nase?" Schon als Vierjähriger stellt Kurt Gödel, geboren 1906 in Brünn, gerne jene unbequemen Fragen, auf die es nach Ansicht der Erwachsenen keine Antworten gibt - und erhält so im Kreise seiner Familie den Spitznamen der "Herr Warum".

Vier Jahrzehnte später konfrontierte der österreichische Logiker, der mit seinem berühmten Unvollständigkeitssatz das bis dahin wasserdichte Beweissystem der Mathematik leck geschlagen hat, Albert Einstein in Princeton mit einer ähnlich unbequemen Frage: Warum ist die Zeit nicht nur relativ, wie der berühmte Physiker bewiesen hat, sondern vielleicht überhaupt - eine Illusion?

Diese philosophische Frage stellt sich, nachdem Kurt Gödel aus Einsteins Gleichungen ein bizarres Universum entworfen hat: einen Kosmos, der sich dreht und in dem Reisen in die Vergangenheit möglich sind. Das "Gödel-Universum" irritiert zunächst Albert Einstein, beschäftigt später Steven Hawking und wird heute als kosmologisches Alternativmodell diskutiert.

Ein folgenschwerer Ausflug in die Kosmologie

Kurt Gödel hatte in Wien Physik studiert, bevor er auf Mathematik umschwenkte und sich ungelösten Problemen in der Logik widmete. Sein Ausflug in die Kosmologie begann 1946 und dauerte ungefähr sechs Jahre. Das publizierte Ergebnis des äußerst genauen und skrupulösen Logikers war nicht sehr umfangreich.

1949 verfasste Gödel für einen Jubiläumsband zu Albert Einsteins 70. Geburtstag einen Artikel mit dem Titel "Einige Bemerkungen über die Beziehung zwischen Relativitätstheorie und der idealistischen Philosophie". Im selben Jahr veröffentlichte er in den "Reviews of Modern Physics" eine Arbeit über "Ein Beispiel für einen neuen Typ kosmologischer Lösungen der Einsteinschen Feldgleichungen der Gravitation".

Eine ergänzende Arbeit über sein verstörendes Universum legte der Altösterreicher 1952 vor. Zudem trug Gödel seine kosmologischen Erkenntnisse am 7. Mai 1949 im "Institute for Advanced Study" vor. Die Reaktion war eine Mischung aus Bewunderung, Erstaunen und Unverständnis.

Die Krümmung der Raumzeit

Albert Einstein hat 1916 mit seiner ART eine vollkommen neue Theorie der Schwerkraft präsentiert. Weil die Gravitation die dominierende Kraft im Kosmos ist, ließ sich mit Einsteins Feldgleichungen auch der Ursprung, Aufbau und die Entwicklung des Universums beschreiben. Raum und Zeit bilden eine vierdimensionale Einheit, die Raumzeit.

Im Gegensatz zu Newton ist bei Einstein die Gravitation keine Kraft, sondern eine Eigenschaft der Geometrie dieser Raumzeit. Die Raumzeit wird dabei durch die Materie gekrümmt, und diese gekrümmte Raumzeit bestimmt wiederum die Bahnen der Himmelskörper. Doch die Gleichungen der ART sind lokal, die Krümmung der Raumzeit ist abhängig von einer konkreten Verteilung der Materie an einem Punkt. So lassen sich verschiedene exakte Lösungen für die Gleichungen der ART formulieren.

Ein rotierendes Universum

30 Jahre nach Einsteins großem Wurf findet Kurt Gödel solche konkreten Lösungen, aus denen sich ein merkwürdiges, theoretisches Modell des Kosmos ergibt. Die erste Auffälligkeit ist: Gödels Universum rotiert. Jedes Universum, das sich aus den Lösungen von Einsteins Feldgleichungen ergibt, ist nach der ART ein theoretisch mögliches Universum.

Kurt Gödel findet mit einer eigens dafür entwickelten mathematischen Technik Lösungen der ART, die Weltmodelle ermöglichen, in denen die gesamte Materie rotiert. Aber gegenüber was soll sich das Universum denn drehen, mag Albert Einstein auf einem gemeinsamen Spaziergang gefragt haben.

Zeitreisen in die Vergangenheit

Der scharfsinnige Altösterreicher Gödel hat Lösungen für die Allgemeine Relativitätstheorie gefunden, die einen rotierenden Kosmos ergeben, in dem zudem Einsteins Raumzeit so stark gekrümmt ist, dass sich geschlossene zeitartige Kurven bilden.

Und eine Fahrt mit einer stark beschleunigten Rakete entlang einer solchen geschlossenen Raumzeitkurve ließe sich nur als "Zeitreise" beschreiben! Das war die spektakuläre zweite Folgerung, die sich aus Gödels kosmologischen Überlegungen ergab: In der "rotierenden Welt des Herrn Warum" waren Reisen in die Vergangenheit - zumindest theoretisch - möglich. Einsteins Relativitätstheorie ließ dieses Gedankenspiel nur in Richtung Zukunft zu.

Statisch oder nicht?

Das "Gödel-Universum" war allerdings nur ein mathematisch mögliches Modell. Der bizarre Kosmos ließ sich zwar folgerichtig aus Einsteins Relativitätstheorie ableiten, aber er entsprach keinesfalls jenem Universum, das die Astronomen tatsächlich beobachteten.

Spätestens seit 1929, als Edwin Hubble die Rotverschiebung ferner Galaxien entdeckt hatte, wusste man, dass das Weltall expandierte. Das rotierende Gödel-Universum aber war, wie übrigens auch Einsteins Kosmos, zunächst statisch. Erst in einer zweiten Arbeit entwarf Kurt Gödel ein Universum, das sich auch ausdehnte. In diesem waren allerdings nun keine Zeitreisen mehr möglich.

Service

Rebecca Goldstein, "Kurt Gödel. Jahrhundertmathematiker und großer Entdecker", Piper Verlag, ISBN 3492048846

Douglas R. Hofstadter, "Gödel, Escher, Bach. ein Endloses Geflochtenes Band", dtv, ISBN 3423300175

Palle Yourgrau, "Gödel, Einstein und die Folgen. Vermächtnis einer ungewöhnlichen Freundschaft", Beck Verlag, ISBN 3406529143