Jahrhundertmathematiker und großer Entdecker

Kurt Gödel

Zu Recht bezeichnet Rebecca Goldstein Kurt Gödel in ihrem Buch als "Jahrhundertmathematiker". Und er war auch sicher ein "großer Entdecker" gewesen, einer, dessen Abenteuer sich im Kopf, genauer gesagt in den Dimensionen formaler Logik abspielten.

Kurt Gödel, der Zeit seines Lebens ein sehr zurückhaltender und stiller Zeitgenosse gewesen ist, ist eigentlich der große Unbekannte geblieben, obwohl eine Publikation über sein Denken ein wirklicher Welterfolg geworden ist, nämlich das Buch "Gödel, Escher, Bach" von Douglas Hofstadter, das vor nun 20 Jahren erstmals auf Deutsch erschienen ist.

Beweis der Unvollständigkeit

Gödels berühmter "Unvollständigkeitssatz" lautet ganz allgemein, dass in großen Systemen wie der Arithmetik nicht alle Aussagen beweisbar seien. Gödels "Unvollständigkeitssatz" zerfällt eigentlich in zwei Beweise, die Rebecca Goldstein folgendermaßen erklärt:

In jedem formalen System, das zumindest die elementare Zahlentheorie umfasst, gibt es beweisbar unbeweisbare Sätze, die unter der Voraussetzung der Widerspruchsfreiheit des Systems dennoch wahr sind. Das ist Gödels erster Unvollständigkeitssatz. Der zweite Unvollständigkeitssatz besagt, dass die Widerspruchsfreiheit eines formalen Systems, das die Zahlentheorie umfasst, innerhalb dieses Systems nicht formal bewiesen werden kann.

Beispiel Plattenspieler

Douglas Hofstadter fand ein recht anschauliches Beispiel für diese hoch komplexe mathematische Angelegenheit: Für jeden Plattenspieler gibt es mindestens eine Platte, die dieser nicht spielen kann. Nun sagt einem der gesunde Menschenverstand vielleicht Folgendes: Zum Glück braucht man heute kaum noch Plattenspieler, sondern erfreut sich an CD-, Video- und DVD-Playern.

Doch genau das ist die Crux von Gödels Unvollständigkeitssätzen: Auch wenn man den Plattenspieler auf den Müll der Geschichte wirft, so besteht doch dasselbe Problem für alle Geräte, die Musik oder Filme abspielen. Selbst für die technisch komplexeste - und wahrscheinlich sehr teure! - Musikanlage gilt, dass es mindestens eine CD gibt, die diese nicht abspielen kann. Und auch wenn das Ganze nur ein Gleichnis für zwei Sätze der formalen Logik ist, so schwant dem gesunden Menschenverstand, dass sich da Unangenehmes ankündigt.

Logik und Sprache

Rebecca Goldstein versucht in ihrem Buch, mehrfach die Gödelschen Theoreme ihren Lesern näher zu bringen, einmal mit den Mitteln der formalen Logik, einmal mit wohl geformten Sätzen der normalen Sprache. Die mathematisch-logischen Beweise Gödels haben unangenehme Folgen für uns alle, wenn wir glauben, dass logisches Denken das Abbild unserer Vernunft ist und wir uns im Leben auf unser vernünftiges Denken verlassen wollen.

Sehr frei nach Gödel könnte man sagen, dass die Vernunft Gedanken und Sätze produziert, die innerhalb der Vernunft unbeweisbar, widersprüchlich und dennoch wahr sein können. Die Vernunft erstrahlt so im schönen Schein der Paradoxien. Zu Recht mein Goldstein, dass Kurt Gödel der Welt des Paradoxen und des schönen Scheins im Wien der 1920er Jahre real begegnet wäre.

Gödel vs. Wittgenstein

Nicht gerade zimperlich geht Rebecca Goldstein mit Ludwig Wittgenstein um. Der Logiker und Sprachphilosoph lehnte Gödels Unvollständigkeitssätze ab. Er tat dies deswegen, weil er nicht glaubte, dass man innerhalb eines formalen Systems eine wahre Aussage treffen und zugleich etwas Wahres über dieses System formulieren kann. Wenn man nochmals das Beispiel mit dem Plattenspieler bemüht, kann man das so sagen: Wittgensteins Plattenspieler funktioniert nicht. Er ruft daher einen Techniker. Gödel erscheint als dieser und erklärt Wittgenstein, dass er gerade genau die Platte aufgelegt habe, die sein Plattenspieler nicht spielen könne. Und dann erzählt Gödel Wittgenstein etwas über das "formale Wesen" des Plattenspielers. Wittgensteins Zornausbrüche sind bekannt. Und so hätte er wohl Gödel aus seiner Wohnung hinausgeworfen.

Auch wenn Wittgenstein bei seiner Ablehnung von Gödels Unvollständigkeitssätzen höchst wahrscheinlich Unrecht hat, so ist es nicht gerecht, wenn Goldstein unter Berufung auf eher zweitrangige Logiker bezeugen will, dass Wittgenstein kein großartiger mathematischer Geist gewesen ist. Außerdem bezieht sich Goldstein ausschließlich auf Wittgensteins Frühwerk, was auch nicht gerade zu einer ausgewogenen Darstellung führt. Und wenn dann Goldstein ausführlich von der engen Freundschaft Gödels mit Albert Einstein seit den 40er Jahren berichtet, so weiß sie nicht wirklich Neues zu berichten.

Widersprüche und Paradoxien

Kurt Gödel wurde am 28. April 1906 in Brünn geboren. Sein Geburtstag jährt sich also zum 100. Mal. Erstaunlicherweise ist Piper der einzige Verlag, der aus diesem Anlass eine Publikation über Gödel herausbringt. Das ist Piper hoch anzurechnen. Auch ist Rebecca Goldsteins Buch über weite Strecken eine sehr lesenswerte Sache. Und vielleicht sind ja Goldsteins Widersprüche und Paradoxien, in die sie sich verstrickt, das ungewollte und doch treffende Abbild von Gödels Unvollständigkeitssätzen.

Service

Rebecca Goldstein, "Kurt Gödel. Jahrhundertmathematiker und großer Entdecker", Piper Verlag, ISBN 3492048846

Douglas R. Hofstadter, "Gödel, Escher, Bach. ein Endloses Geflochtenes Band", dtv, ISBN 3423300175

Palle Yourgrau, "Gödel, Einstein und die Folgen. Vermächtnis einer ungewöhnlichen Freundschaft", Beck Verlag, ISBN 3406529143