Schreiben für eine Minderheit
Oscar Peer, ein valladischer Autor
"Ich übersetze nicht, ich verfasse meine Bücher zweimal", sagt Oscar Peer, "erst in der Sprache des Unterengadin, dem Vallader, und dann in Deutsch. Und ich kann sagen, dass ich wahrscheinlich der meistgelesene Schriftsteller bei meinen Leuten bin."
8. April 2017, 21:58
Das Rätoromanische ist keine Sprache, sondern eine Sprachfamilie, ein Relikt der Römerzeit: Die lateinische Umgangssprache hat sich in den verschiedenen Gegenden der Ostschweiz und im hochalpinen Tirol unterschiedlich weiter entwickelt. So gibt's allein in der Schweiz fünf verschiedene rätoromanische Sprachen und daher naturgemäß relativ wenige Menschen, die zu jeder einzelnen Sprachgruppe gehören.
"Es sind wohl nur einige hundert valladisch Sprechende im Engadin", meint Oscar Peer, "und die kennen mich alle." Der Stolz, der aus diesen Worten klingen könnte, fehlt, die Trauer überwiegt. Denn es scheint, als würden sich immer weniger Menschen um das "Rumantsch" bemühen.
Schlechte Aussichten für eine alte Sprache?
Die Volkszählung 2000, bei der zum zweiten Mal in der Geschichte der Volkszählungen jeder Einzelne nach der bestbeherrschten und der meistgesprochenen Sprache befragt wurde, ergab ein düsteres Bild: von 1990 auf 2000 ist der Hauptsprachenanteil der romanischen Graubündner von 17 Prozent auf 14,5 Prozent gesunken, und in der Reihe der bestbeherrschten Sprachen steht Romantsch auf Platz elf, nach dem Deutschen, Französischen, Italienischen, Serbischen, Kroatischen, Albanischen, Portugiesischen, Spanischen, Englischen und Türkischen. Schlechte Aussichten für die alte, nach allen Kräften von staatlicher Seite unterstützen Minderheitensprache?
Musik als Rettung einer Sprache
Aber nicht doch, falls man der Musik die Macht zuerkennt, die Musiker in ihr sehen: Seit einigen Jahren macht liricas analas auf sich aufmerksam. Fünf Musiker und zwei DJs haben beschlossen, die Philosophie und die Einstellung ihrer Kultur in solche Musik umzusetzen, die sie selbst "aus den Socken bläst".
Und so rappen und hiphopen sie rätoromanisch, im survelvischen Dialekt, dass die Fetzen fliegen und den Zuhörern der verschiedensten Festivals die Ohren schlackern. Eine erfolgreiche Initiative fern ab von den staatlich geförderten Projekten zur Spracherhaltung.
Deutsch als gemeinsame Sprache
"Ich bin ja nicht der einzige, der in der alten Sprache schreibt", sagt Oscar Peer, "da gibt es eine ganze Reihe. Cla Biert zum Beispiel. In seinem Roman 'La Müdada', 1962 erschienen, auf Deutsch 22 Jahre später unter dem Titel 'Die Wende', beschreibt er sehr eindrucksvoll den Zerfall der Tradition und den Verlust der Sprache, der zwangsläufig damit Hand in Hand geht. Oder auch Ruth Plouda, Gion Deplazes, Clo Dori Bezzola. Oder mein Bruder Andri Peer, der vor allem Lyrik geschrieben hat."
Erst in den 1980er Jahren ("viel zu spät", bedauert Oscar Peer) habe man damit angefangen, sich auf eine gemeinsame Sprache zu einigen: das Romantsch Grischun.
"Zu spät, um in dieser synthetischen Sprache etwas Bleibendes zu schaffen. Denn, das ist eben der Witz: Wenn ein Unter-Engadiner mit einem Surselvander, einem Oberländer, spricht, dann unterhalten sie sich meist auf Deutsch."
Aber er setzt gleich einen positiven Aspekt nach: "Wir haben bei den anderen Schweizern einen Bonus. Sie kommen zu uns in die Ferien und lernen diese Sprache, weil sie ihnen gefällt. Und wir bekommen auch Subventionen von Ber. Ohne diese Hilfe könnten wir gar keine Bücher herstellen oder unsere Kultur pflegen." Diese staatliche Unterstützung ist als "Sprachenfreiheit" im Artikel 70 der Schweizer Bundesverfassung garantiert.
Zurückgekehrt
Sein Buch "Akkord - Il Retuorn", in dem er das Gefangensein eines Menschen in den Umständen beschreibt, ist in zwei Etappen entstanden. 1978 auf Vallader, da hieß es noch "Accord". Das weist sowohl auf die Arbeit des Simon hin, erklärt er, der für die Arbeit in seinem Los einen bestimmten Lohn erhält, egal ob er zwei Monate oder drei dafür braucht.
"Aber es hat auch etwas mit Musik zu tun, für mich hat diese Geschichte einen bestimmten Klang, einen tragischen Akkord", sagt er, "aber der Verlag fand dann 'Rückkehr' auch ganz gut, und so heißt die valladische Fassung eben jetzt 'Il Retuorn' und die deutsche 'Akkord'."
Ein trotziges Buch, in dem Simon, der Gejagte, der Leidende und der Duldende, sich tapfer und in Würde seinem Schicksal entgegenstemmt. Wie die "Rumantschen", die mit allen Mitteln das Sterben ihrer sprachlichen Identität verhindern wollen.
service
Oscar Peer, "Akkord - Il Retuorn", "Das Raunen des Flusses", "Eine Kindhet im Engadin", "Das alte Haus / La chasa veglia", alle Limmat Verlag
Limmat Verlag - Oscar Peer
Lia Rumantscha
liricas analas