Wenn Schriftsteller über Weltfußball plaudern

Fußball als Phänomen

Rituale, Ästhetik und Symbolwert des Fußballs: Im Jahr der Weltmeisterschaft in Deutschland sind das Themen, die auch von Intellektuellen diskutiert werden - etwa von den Schriftstellern Burkhard Spinnen oder Franzobel oder Henning Mankell.

Burkhard Spinnen zum Fußball als Körperreligion

Es gibt Leute, die halten Fußball für ein Spiel; ein Spiel wie Ping Pong zum Beispiel, nur mit mehr Spielern. Andere finden, dass Fußball das Spiel schlechthin ist; mindestens das. Sie schimpfen, toben, flüstern, schwärmen, fallen in sich zusammen oder über andere her - je nachdem, was gerade auf dem Spielfeld passiert.

In beiden Gruppen finden sich auch Schriftsteller. Zwölf von ihnen haben sich dieser Tage in Berlin zusammengefunden und über Fußball diskutiert; über sein vermeintliches oder echtes Wesen, die Arten und Unarten, die er mit sich bringt, über Hooligans, Religion und über die eigene Beziehung zum Ball.

Warum gerade mit den Füßen?

Es ist nicht überliefert, wann die Fragen aufgekeimt sind, wo oder warum oder vor allem womit dieses Spiel gespielt werden soll. Der deutsche Schriftsteller Burkhard Spinnen hat sich offenbar schon lange mit diesen Fragen auseinandergesetzt, weil sie in ihm arbeiten und ihn beschäftigen: "Warum gerade mit den Füßen?", fragt er sich: "Warum ausgerechnet mit den Füßen, die man doch eigentlich zum Laufen braucht, wobei ein Ball doch nur stört! Gelegentlich fällt man ja auch über den Ball. Gelegentlich spielt man dieses Spiel auch mit dem Kopf, die Hände darf man aber nicht verwenden: Das ist doch sehr komisch - diese Übung mit dem Körper, dieses etwas permanent tun zu müssen, was abseits der Entwicklungslinie liegt."

In dem Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann hat Spinnen einen kongenialen Mitspieler: "Im Fußball" - so hat dieser einmal geschrieben - "erfährt der Mensch, wo er steht, wovon er träumt. Auf einem geteilten Feld tanzt er über dem Abgrund; zwischen den vier Eckflaggen kämpft er gegen seinesgleichen. Doch zugleich spielen seine Füße mit dem Ball, mit dieser Sphärenkugel, die an die ursprüngliche Einheit oder an ein göttliches Gestirn erinnert."

Humoriges von Franzobel

Schlichtere Worte wählt der österreichische Schriftsteller Franzobel, etwa wenn er beklagt, dass dem Spiel der Humor abhanden gekommen sei: "Mir ist da zum Beispiel eingefallen, wie Österreich gegen Spanien in einem sehr legendären Spiel in Valencia bereits zur Pause 0:5 zurückgelegen ist. Damals hat man den Verteidiger Anton Pfeffer gefragt, wie das Spiel denn eigentlich ausgehen wird, und er hat gesagt: 'Na ja, hoch werden wir wahrscheinlich nicht mehr gewinnen können' ... also: Erst wenn so eine gewisse Aussichtslosigkeit da ist, gibt es offenbar noch die Chance, einen gewissen Humor in den Fußball hineinzubringen; leider geht mir der bisweilen ein bisschen ab." Daher bringt der Österreicher gleich weitere Schmankerln:

"Ich habe einmal bei einer Fußballrunde zur Diskussion gestellt, warum z. B. nicht zehn Spieler einen Kreis bilden, den elften Spieler mit dem Ball im Kreis belassen und sich als Asterix artige Kohorte in Richtung gegnerisches Tor bewegen. Das hat unseren jetzigen Nationaltrainer Josef Hickersberger völlig aus der Fassung gebracht, weil er wirklich nicht gewusst hat, warum dies eigentlich nicht gemacht wird. Damals meinte er, es würde wohl als Behinderung geahndet werden. Ein weiteres Beispiel, was Trainer vielleicht bewirken könnten, ist, wenn sie z. B. an ihre Spieler die Empfehlung ausgeben, sich zwei Wochen vor dem Spiel nicht zu waschen. Der Körpergeruch würde eine Manndeckung unmöglich machen ..."

Mediale Präsenz

Dass Literaten so ziemlich am Allerwenigsten mit Fußball zu tun hätten, bestreitet Franzobel - wie die meisten eigentlich - nicht wirklich. Er sehe jedoch für Schriftsteller die Chance, medial präsenter zu sein, denn in den Medien spiele Fußball eine große Rolle. Und Burkhard Spinnen ergänzt, es gebe heutzutage nicht mehr so viele gemeinsame Themen, bei denen sich so viele auskennen wie im Fußball. Der internationale Fußball sei eine der wenigen Erfahrungsbereiche, an denen alle partizipieren, auch die Frauen.

"Was haben Weltliteratur und Weltfußball aber gemeinsam?", lautet eine der Fragen, die der Tübinger Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer an die eingeladenen literarischen "Kopfballspieler" stellt: Andé Heller, einer der Initiatoren der Veranstaltung, erwartet sich einen Austausch gemeinsamer Leidenschaften. Im Blick haben aber alle die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft in Deutschland. Mit der hat auch das Schriftstellertreffen zu tun. Es ist Teil des ehrgeizigen Kulturprogramms, das die WM einläuten und begleiten wird. Schließlich soll niemand auf die Idee kommen, Fußball sei eindimensional, nur etwas für Spieler und Fans, lautet die Argumentation.

Eine Frage der Ehre

Die meisten der anwesenden Schriftsteller nennen mindestens ein Land, gegen das zu spielen und zu gewinnen eine Frage der nationalen Ehre ist. Das erste Beispiel, das den meisten dazu einfällt ist Deutschland. Aber die Deutung kriegerischen Potentials fällt rundherum milde aus. Der britische Autor Tim Parks etwa sieht in dem Spiel eine Schlacht ohne Waffen und ortet im Stadion ein kollektives Delirium:

"Man geht ins Stadion, um Gefühle von kollektivem Delirium zu erleben, von Gegnerschaft - gewaltsame Spannungen. Das Stadion ist sicherlich ein Platz für Verstöße, wenn man regelmäßig hingeht, mit denselben Leuten. Man geht, um Situationen zu erleben, die gefährlich sind. Man spürt einen starken Zusammenhalt, eine echte Abneigung für den Gegner. Die Hass-Spiele sind immer die, die zählen. Wenn England gegen Tunesien verliert, ist es kein Problem für mich; wenn England gegen Deutschland verliert, ist es schon schwieriger", sagt der in Verona lebende Schriftsteller.

Friedensmacht Fußball

Henning Mankell, durch die Romanfigur des Kommissars Wallander berühmt geworden, bringt ein Beispiel für die vermeintliche Friedensmacht des Fußballs. Es spielt nicht in seiner Heimat Schweden, sondern in Mozambique, einer Art Wahlheimat Mankells:

"Ich habe einmal ein Spiel zwischen zwei Mannschaften gesehen, die aus lauter Mördern bestanden. Als das Spiel begann, sah ich, dass diese jungen Leute, die wirklich schreckliche Dinge getan hatten, anfingen, einander in einem neuen Licht zu sehen. Sie sahen einen Weg, über ihre Gegensätze hinweg zu kommen, indem sie Fußball spielten. Für mich war das ein Wunder. Ich hatte nach dem Spiel den Eindruck, dass diese jungen Leute nicht mehr hinausgehen und einander töten würden. Nicht nach diesem Spiel, weil sie eine andere Art gefunden hatten, mit ihren Gegensätzen umzugehen. Und darüber sollten wir reden. Das bringt uns auch zur Kunst, zur Literatur. Oder zum Fußball. Fußball hat etwas gemeinsam mit der 'Comedia dell arte'. Es gibt Regeln, die jeder kennt. Aber zugleich gibt es auch eine Art von Unvorhersehbarkeit. Und die ist interessant, deshalb geht man auch zu einem Fußballspiel. Das ist es auch, worüber Schriftsteller wie Olov Enquist und ich schreiben, über Gegensätze, über Unvorhersehbares".

Wird man durch Fußball manipuliert?

Bei zwei Schriftstellern löst Fußball indessen einen Zwiespalt aus. Der Südkoreaner Hwang Chin-Woo und der Russe Viktor Jerofejew haben ihre Länder totalitär und Fußball als Mittel zur Manipulation der Massen erlebt. Ein schaler Geschmack ist geblieben. Tim Parks kennt die Wirkung von Stereotypen. Er beobachtet die Massen seit Jahren in den Stadien in Italien, hält die politischen Konsequenzen aber für überschaubar und letztlich begrenzt:

"Wirklich interessant an Fußball ist, wie wenig Leute ihn politisch manipulieren können. Wenn man einmal im Stadion ist, übernimmt das Spiel das Geschehen. Nehmen Sie Verona! Die Stadt ist berüchtigt für ihre vermeintlich faschistischen Anhänger. Dort gibt es eine politische Bewegung, die zu Rassismus anstachelt, in der Kurve. Aber sie können ihn nicht über das Stadium hinaustragen. Es ist zwar Teil des kollektiven Deliriums im Stadion, aber nicht außerhalb, weil die Leute nicht an Politik interessiert sind, nur am Spiel. Deshalb bleibt es im Stadion. Das macht es nicht besser, aber das Stadion lässt sich benutzen, um es nach außen zu tragen", meint Park.

Fußball als Selbstdarstellung

Satte zweieinhalb Tage dauerte die Veranstaltung in Berlin. Geredet wurde über alles; darüber, dass Fußball-Spiele meistens langweilig sind, über Poesie, die den Ball stakkatoartig als Erde, Sonne und den Bauch einer werdenden Mutter beschreibt, über Derrick, Thomas Morus und zu viele Regeln; darüber, dass Männer mit der Anhänglichkeit zu einem Verein beweisen, dass sie zur Treue fähig sind, und über Hoffnungen, die laut Franzobel bereits über die Weltmeisterschaft hinausreichen.

Eines hat dieses Treffen aber vor allem auch gezeigt, dass nämlich Weltliteratur und Weltfußball zumindest eines gemeinsam haben: den Hang zur Selbstdarstellung.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 24. Jänner 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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