Vorarbeiten für ein Wiener Wiesenthal-Institut

Die (Re)Konstruktion eines Archivs

Das Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien und die Archivbestände von Simon Wiesenthal sollen die Grundlage für ein künftiges Wiener Wiesenthal-Institut für Holocaust-Studien bilden. Das Archiv musste aber erst rekonstruiert werden.

In der Seitenstettengasse im ersten Wiener Gemeindebezirk befindet sich die Anlaufstelle der Isralitischen Kultusgemeinde für jüdische NS-Verfolgte. Sie hat in den vergangenen fünf Jahren etwa 14.000 Holocaust-Überlebende und Nachkommen von Ermordeten aus aller Welt bei Anträgen auf Entschädigungen unterstützt.

Grundlage dieser Arbeit sind historische Dokumente. An den Archivräumen, die sich hinter dem Bürotrakt verbergen, führte kein Weg vorbei. Doch das war nicht immer so: Das Archiv musste erst rekonstruiert werden.

Dokumente des Raubes und der Vernichtung

Die Kultusgemeinde verfügte bis 1938 über ein umfangreiches, nach wissenschaftlichen Kriterien geführtes Archiv. Es war so etwas wie das historische Gedächtnis der Wiener Juden. Gleich nach der Machtübernahme lösten die Nationalsozialisten die Kultusgemeinde auf, nur um sie wenige Wochen später wieder zu eröffnen.

Nun stand ihre Tätigkeit aber unter der direkten NS-Herrschaft: Sie musste zunächst die Zwangsauswanderung abwickeln, dann auch die Listen für die Deportationen zusammenstellen. Ungeahnte Aktenberge entstanden binnen kurzer Zeit: Dokumente der Destruktion, des Raubes, der Vorstufe zur Vernichtung. 1943 war das jüdische Leben in Wien ausgelöscht, die Aktenberge blieben stumme Zeugen der Barbarei.

Ende 1945 zählte die Kultusgemeinde nur mehr 4.000 Mitglieder. Die IKG hatte selbstredend andere Sorgen, als das Archiv wiederherzustellen. Die Materialien befanden sich aufgrund unsachgemäßer Lagerung in einem schlechten Zustand. Auch die Systematik hatte enorm gelitten. Die gigantischen Mengen an Dokumenten aus der NS-Zeit waren über den geordneten Altbestand hereingebrochen.

Central Archives for the History of the Jewish People

In Jerusalem war inzwischen das Central Archives for the History of the Jewish People gegründet worden. Das Archiv sammelt Akten und Materialien, die die Geschichte des jüdischen Volkes in der Diaspora dokumentieren.

Da die Durchsicht und Inventarisierung der Bestände in Wien nicht praktikabel erschien und ein entsprechendes Angebot aus Jerusalem vorlag, wurden große Teile in den 50er und 60er Jahren als Dauerleihgabe nach Israel transferiert. Andere Archivalien verschwanden in verschiedenen Depots und gerieten in Vergessenheit.

Rekonstruktion eines Archivs

Die Anlaufstelle der IKG war also schon zu Beginn damit konfrontiert, dass es für ihre Recherchen kein Archiv gab. Es ging also darum, das Archiv zu rekonstruieren. Der Leiter der Anlaufstelle, Ingo Zechner, und der Leiter des Archivs der IKG, Lothar Hölbling, nahmen die Arbeit in Angriff.

Sie fanden in Wien viele verschwunden geglaubte Karteien und Materialien, die vor allem die Vertreibung der Juden dokumentieren. In den Central Archives in Jerusalem wurden in Kooperation mit dem United States Holocaust Memorial Museum zudem mehr als 1,3 Millionen Dokumente auf Mikrofilm gebannt.

Nach mehrjähriger Rekonstruktion befindet sich in der Seitenstettengasse nun ein historisches Juwel: "Es ist das einzige vollständig erhaltene Archiv einer jüdischen Gemeinde von Beginn an bis zur Zeit nach 1945", weist Avshalom Hodik auf die Bedeutung für die Forschung hin.

Verschmelzung zweier Archive

Doch das Archiv ist derzeit nicht öffentlich zugänglich: Es fehlt eine Institution. Im Jahr 2002 haben verschiedene Einrichtungen, wie das DÖW oder das Institut für Zeitgeschichte an der Uni Wien beschlossen, ein Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien zu gründen.

Es soll die Archivbestände die Simon Wiesenthal über die Jahrzehnte zusammen getragen hat gemeinsam mit dem Archiv der IKG aufnehmen", erklärt Ingo Zechner.

Das Institut soll sich als internationales Forschungs- und Bildungszentrum mit Antisemitismus, Rassismus und dem Holocaust beschäftigen. Simon Wiesenthal hat an dem Konzept für das Institut noch selbst mitgearbeitet.

Hör-Tipp
Dimensionen, Dienstag, 24. Jänner 2006, 19:05 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Links
Israelitische Kultusgemeinde Wien
Anlaufstelle der israelitischen Kultusgemeinde Wien
Anlaufstelle der israelitischen Kultusgemeinde Wien - Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien