Veränderte Sicht des Menschen

Entdeckung des Unbewussten

Sigmund Freud publizierte 1900 seine Traumdeutung, in der er die unbewussten Anteile der menschlichen Psyche nachwies und ihre Wirkung auf die Befindlichkeit des Einzelnen. Damit befreite er die Psychologie von ihrem Nimbus, pathologisch zu sein.

Wir haben aus der Psychoanalyse erfahren, das Wesen des Prozesses der Verdrängung bestehe nicht darin, eine den Trieb repräsentierende Vorstellung aufzuheben, zu vernichten, sondern sie vom Bewusstwerden abzuhalten. Wir sagen dann, sie befinde sich im Zustande des "Unbewussten", und haben gute Beweise dafür vorzubringen, dass sie auch unbewusst Wirkungen äußern kann, auch solche, die endlich das Bewusstsein erreichen. (Sigmund Freud, "Das Unbewusste", 1915)

Forschen und Heilen

Dr. Sigmund Freud, Dozent für Nervenkrankheiten an der Universität Wien, hatte seit Beginn seiner Studienzeit davon geträumt, in der Reihe der Gelehrten seiner Zeit einmal ganz oben zu stehen.

Dafür war es notwendig, einen epochalen wissenschaftlichen Erfolg zu verbuchen. Gelungen war ihm das durch die Entdeckung, dass unbewusste Vorgänge auf das Leben eines Menschen Einfluss nehmen. Auch die Rolle des Arztes definierte Freud neu. Denn Forschen und Heilen standen für ihn in enger Verbindung.

Der Eroberer

Als er am 25. April 1886 seine erste Praxis in der Rathausgasse 7 in Wien eröffnete, war der Begriff des analytischen Settings noch nicht bekannt. Freud war mit Patienten konfrontiert, die unterschiedlichste Leiden aufwiesen: Panikattacken, Sprachstörungen, aber auch körperliche Leiden, für die es keine organischen Ursachen gab.

Behandelt wurden diese Patienten mit Massagen, Wasserbädern und - in schweren Fällen - mit Elektroschocks. Die Behandlungen blieben jedoch erfolglos. Freud und seine Kollegen tappten im Dunkeln. Darum bezeichnete sich Freud später als Eroberer, der das innere Afrika, den unentdeckten Kontinent der Seele, erforschen wollte.

Auf der Suche nach einem Thema

Seine wissenschaftliche Karriere begann er im Oktober 1873, nachdem er an der medizinischen Fakultät inskribiert hatte. Auf der Suche nach "seinem Thema" forschte er am Aufbau der Nervenzellen und experimentierte mit Kokain. Doch erst der Studienaufenthalt in Paris bei Jean Martin Charcot eröffnete ihm sein späteres Forschungsgebiet.

Denn Charcot demonstrierte in spektakulären Schaustellungen die therapeutische Anwendung der Hypnose bei hysterischen Patienten. In Wien hatte inzwischen Freuds Kollege und Freund Josef Breuer entdeckt, dass sich der Zustand von Patienten verbesserte, wenn sie von sich selbst erzählen durften.

Zu hören und verstehen

In seiner Privatpraxis griff Freud nun Breuers Entdeckung auf. Er setzte die Hypnose nur mehr spärlich ein - und ließ seine Patienten reden. Er bemerkte, dass die oft wirren und scheinbar nicht zusammenhängenden Gedankengänge im Seelenleben der Patienten einen inneren Zusammenhang besaßen. Und manchmal brachten ausgesprochene Gedanken die Symptome auch zum Verschwinden. Freud hörte zu - und er versuchte zu verstehen.

Er suchte nach Gesetzmäßigkeiten und er formulierte Theorien - um diese wieder zu verwerfen. Das analytische Setting war installiert. 1896 verwendete er in seinem Aufsatz "Weitere Bemerkungen über die Abwehr-Neuropsychosen" zum ersten Mal den Begriff der Psychoanalyse.

Freud sah sich aber nicht nur als Arzt. Seine Leidenschaft galt der Philosophie. In den Gesprächen mit dem katholischen Theologen und Philosophieprofessor Franz Brentano hatte er seine Definition der Psychologie gefunden: als eine Wissenschaft, die deskriptiv, also beschreibend sein müsse.

Archäologie als Metapher

Freud verstand alle Äußerungen des menschlichen Geistes, auch die der Kunst und der Literatur, als Material, das auf seinen psychologischen Kontext untersucht werden konnte. In der Archäologie fand er eine Metapher für die Psychoanalyse.

In seinem Aufsatz über "Das Unbehagen in der Kultur" schrieb Freud 1930:

Wie der Archäologe aus stehen gebliebenen Mauerresten die Wandlungen des Gebäudes aufbaut, aus Vertiefungen im Boden die Anzahl und Stellung von Säulen bestimmt, genauso geht der Analytiker vor, wenn er seine Schlüsse aus Erinnerungsbrocken, Assoziationen und aktiven Äußerungen des Analysierten zieht.

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 9. Jänner bis Donnerstag, 12. Jänner 2006, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Links
Sigmund Freud Museum Wien
Freud-Institut
Wiener Psychoanalytische Vereinigung