Eine folgenreiche Erfindung

Der Kompass

Für Amir Aczel, Universitätsprofessor für Mathematik in Boston, ist der Kompass die wichtigste Erfindung seit dem Rad. Ohne den Kompass hätte sich der moderne Handel nie entwickelt, sagt der Autor des Buches "Der Kompass".

Amir Aczel war in seinen Recherchen über den Kompass, die ihn u. a. nach Italien führten, nicht nur von professioneller Neugier getrieben. Der Kompass hatte ihn schon von Kindesbeinen an fasziniert, der in Israel geborene Autor wuchs nämlich auf einem Schiff auf.

"Mit 10 Jahren konnte ich ein Schiff steuern und wusste, wie man mit dem Kompass umgeht", erzählt Aczel. "Ich erinnere mich noch, wie ich am Steuer gestanden bin und versucht habe, bei unruhiger See die Richtung genau so zu halten, wie mein Vater es mir befohlen hat."

Vor der Erfindung des Kompasses bestand die Kunst des Navigierens darin, aus einer ganzen Reihe von Beobachtungen und Gegebenheiten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ein geschickter Kapitän berücksichtigte Sternenkonstellationen, Wanderrouten der Zugvögel, Winde, Meeresströmungen, Leuchttürme und - in Küstennähe - Lotleinen.

China nützte Magnetismus

Die eigentliche Erfindung des Kompasses lässt sich bis nach China, ins erste nachchristliche Jahrhundert zurückverfolgen. Allerdings hatten die Chinesen dafür eine andere Verwendung, wie noch Marco Polo, der China im 13. Jahrhundert besuchte, bezeugen konnte. Sie verwendeten den Kompass nicht als Instrument zur Navigation, sondern zur Weissagung der Zukunft und für ähnliche spirituelle Belange.

Ein chinesischer Kompass sah, nach heutigen Begriffen, eher merkwürdig aus. Die Nadel konnte etwa wie ein Fisch oder wie eine Schildkröte geformt sein. In einem alten chinesischen Text wird die Herstellung eines Kompasses so beschrieben:

Eine dünne Schicht geschmolzenen Eisens wird in Form eines Fisches gegossen. Noch in geschmolzenem Zustand wird der Fisch magnetisiert, indem man ihn, mit dem Schwanz in Richtung Norden weisend, abkühlen lässt. Das dünne Fischblatt wird sodann in einen Kasten voll Wasser gegeben, wo es auf der Oberfläche schwimmt. Wenn das Behältnis vor Wind geschützt wird und der Fisch frei schwimmt, zeigt sein Kopf direkt nach Süden.

Ohne Kompass keine Handelsrouten

Der Magnetkompass, wie man ihn heute kennt, - eine Magnetnadel in einem Gehäuse mit einer Windrose auf einer Scheibe - dürfte um 1295 in Amalfi entwickelt worden sein. Es ist nicht verwunderlich, dass der Magnetkompass zur Navigation der Meere in Europa erfunden wurde. Will man sich nach den Sternen orientieren, darf der Himmel nicht bedeckt sein. Auch ein Sextant, mit dem man aus dem Winkel zwischen einem Stern und dem Horizont die Position bestimmt, erfordert einen leidlich klaren Himmel.

"Man kann ohne Kompass navigieren, aber weniger verlässlich", meint Aczel. "Ohne Kompass gab es keine Handelsrouten. Die kommerzielle Revolution, die bis in die Gegenwart reicht, hätte ohne den Kompass nicht stattgefunden."

Der Autor beschreibt, welch gute Dienste der Kompass etwa den berühmten Seefahrern wie Vasco da Gama, Amerigo Vespucci oder Magellan geleistet hat. Christoph Kolumbus, meint Amir Aczel, hätte wohl auch ohne den Kompass die westindischen Inseln entdeckt, doch er hätte sich viel schwerer getan.

Abgelöst vom GPS

Nach der Erfindung des Magnetkompasses dauerte es eine Weile bis zur nächsten technischen Verbesserung, dem Kreiselkompass. Heutzutage navigieren Schiffskapitäne mit einem Laserkompass und dem satellitengestützten Global Positioning System GPS. Doch auf jedem Schiff sei in irgendeiner Kiste ein Magnetkompass und ein Sextant verstaut, sollte die Elektrizität bzw. der Satellit ausfallen, sagt Amir Aczel.

Er hängt den Frühzeiten der Navigation mit einer gewissen Nostalgie nach: "Heutzutage hat schon jeder ein GPS-Gerät, sei es im Auto, beim Wandern oder beim Spazierengehen. Das ist schade, weil damit die Kunst des Navigierens verschwindet."

Buch-Tipp
Amir Aczel, "Der Kompass. Eine Erfindung verändert die Welt", Rowohlt Verlag, ISBN 349800056X