Ursachen und Behandlungsmethoden
Putzwut und Waschzwang
Ungefähr zwei von hundert Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an Zwangsstörungen. Die Betroffenen empfinden ihr Verhalten als unsinnig, können aber nicht anders. Wenn ein vermeintlich penibler Wesenszug zu einer seelischen Störung wird.
8. April 2017, 21:58
Sie empfinden ihr Verhalten selbst als unsinnig und schämen sich dafür. Sie können aber nicht anders. Wenn Menschen sich ständig waschen müssen, der Putzfimmel zur täglichen Qual wird und der ganze Alltag unter Dauerkontrolle steht, ist aus dem vermeintlich peniblen Wesenszug eine seelische Störung geworden. Und die wird möglichst kaschiert.
Ungefähr zwei von hundert Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens an Zwangsstörungen. Meist schon in der Kindheit oder Jugend. Die Ausprägungen sind vielfältig: Kontrollzwang. Waschzwang, Sammelzwang, Wiederholungszwang, Zählzwang, Ordnungszwang, Trichotillomanie - das zwanghafte Haare ausreißen - oder die schwerste Form, das so genannte Tourette-Syndrom, ein Tic, der sich in zwanghaften Bewegungen und einer unflätigen Ausdrucksweise äußert.
Zwei Grundtypen
Der Freiburger Psychiater Ulrich Voderholzer unterscheidet zwei Grundtypen: den Typ des "washers", der sich überwiegend mit Reinigen und Waschen beschäftigt und den Typ des "checkers", der alles kontrollieren muss.
Mit gelegentlichen Zwängen, wie sie jeder kennt, sind Zwangserkrankungen nicht vergleichbar. Denn es gibt Extremfälle, die den ganzen Tag nur mehr Zwangshandlungen ausüben und auf diese Art und Weise in ihrem Leben schwer beeinträchtigt sind.
Zwangsrituale spielen laut Voderholzer eine wichtige Rolle in der Emotionskontrolle und in der Anspannungsregulation. "Ich lerne, dass ich, wenn ich zum Beispiel Angst vor Aids habe, durch Waschen die Angst hinunter regulieren kann. Das wird dann automatisiert, und bei aufkommenden Angstzuständen werden dann automatisch die Hände gewaschen und die Angst geht zurück. Das Problem dabei ist, dass das Zwangsritual dem Betroffenen Freiheiten nimmt, ihn eigentlich zum Sklaven seines Zwangs macht", erklärt der Psychiater.
Vielfältige Ursachen
Die Ursachen für Zwangserkrankungen sind vielfältig. Welche Rolle die Genetik spielt, ist umstritten. Faktum ist, dass Kinder von Betroffenen viermal häufiger später selber Zwangsstörungen aufweisen als andere. Ob das genetisch bedingt ist oder mit dem Einfluss des Familienumfelds zusammenhängt, ist unklar.
Eine Ursache von Zwangerkrankungen können Traumatisierungen in der Kindheit sein. Die alleinige Ursache sind sie aber nicht. Auch der Hang zu Perfektionismus und das Verlangen nach hundertprozentiger Sicherheit begünstigen Zwangerkrankungen.
Auslöser
Zwangserkrankungen kommen zu allen Zeiten, in allen Kulturen vor. Konstant mit ungefähr zwei Prozent. Gleich verteilt zwischen Frauen und Männern. Auslöser sind meist Belastungsfaktoren wie beruflicher oder privater Stress.
In den letzten Jahren haben die Zwangserkrankungen prozentuell zwar nicht zugenommen, seien aber laut dem Hamburger Psychiater und Pionier der Zwangsbehandlung Iver Hand deutlich schwerer in ihrer Ausprägung geworden.
Behandlungsmöglichkeiten
Die derzeit besten Behandlungserfolge bringt eine Kombination von Pharmakotherapie - mit so genannten Serotonin-Wiederaufnahmehemmern - und kognitiver Verhaltenstherapie, vor allem der so genannten Exposition.
Die Konfrontations- oder Expositionstherapie kann in zwei Formen durchgeführt werden. Entweder graduell, so dass sich Menschen langsam ihren Zwängen stellen oder in einem Art Schockverfahren, dem so genannten flooding. Diese Schocktherapie wird zwar nur von einer Minderheit der Therapeuten genutzt, ist aber oft effektiv.
Neben dieser Symptombehandlung werden zusätzlich viele weitere Therapien wie die Familientherapie durchgeführt. Neu dazugekommen in der Verhaltenstherapie ist die Schulung der Gefühlswahrnehmung. Denn Menschen mit Zwangsstörungen haben zu ihren Gefühlen oft keinen Zugang.
Zwänge werden aber auch durch die besten Therapien in den seltensten Fällen aufgehoben. Sich von ihnen nicht beherrschen zu lassen - das ist für die meisten Kranken schon ein großer Gewinn, die Angst aber bleibt oft.
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