Zehn Jahre Dayton-Abkommen

Die langsamen Wege des Friedens

"Zwischen Idee und Wirklichkeit, zwischen Regung und Tat, fällt der Schatten": Dieses Zitat von T. S. Eliot leitet das Epilogkapitel des Buchs "Bosnien nach Dayton" von Richard Holbrooke, einem der Architekten des Friedensabkommens, ein.

Die Friedensabkommen haben eine gemeinsame Charakteristik; keine betroffene Seite ist mit ihm völlig zufrieden und noch bei der Unterzeichnung versucht man ihn umzugehen. Das Dayton-Friedensabkommen, vor genau zehn Jahren unterschrieben, teilt dieses Schicksal auch.

Nach vierjährigen Kriegen von 1991-1995 im ehemaligen Jugoslawien sind die Beteiligten in eine Pattsituation gekommen. Das heißt nicht, dass sie vom Töten und Zerstören müde waren, ganz im Gegenteil. Aber die Untaten brachten den kriegerischen Parteien keine sichtbaren Vorteile.

Der Dayton-Vertrag

Die internationale Gemeinschaft hat sich dann endlich entschieden, dem Gemetzel ein Ende zu machen. Unter starkem amerikanischen Druck wurde am 21. November 1995 in Dayton, Ohio, vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton der Vertrag paraphiert und am 14. Dezember in Paris vom kroatischen Präsident Franjo Tudjman, dem serbischen Präsident Slobodan Milosevic und dem bosnischen Präsident Alija Izetbegovic unterzeichnet. Damit wurden die offenen Kämpfe beendet, aber der Friede ist noch nicht vollkommen.

Die Jubiläen

Angesichts des fünften Jahrestags des Dayton-Abkommens beschäftigte sich die AG Friedensforschung an der Universität Kassel mit den damaligen Ergebnissen des Abkommens. Unter dem Titel "Eine ernüchternde Bilanz" konnte man die Auszüge aus einem Artikel aus der "Neuen Züricher Zeitung" lesen:

"Das Abkommen von Dayton, das einen multinationalen Staat schaffen und in sicheren Grenzen garantieren wollte, darf im Lichte der fünfjährigen Praxis als gescheitert betrachtet werden. Dem Land fehlen in vielerlei Hinsicht noch immer die Attribute eines souveränen Staates. Zwar blieb der Staat de jure in seinen international anerkannten Grenzen bestehen; de facto sind das Territorium und die Macht jedoch zwischen den drei wichtigsten Volksgruppen - Bosnjaken (Muslime), Serben und Kroaten - aufgeteilt." Das Jahr war 2001.

Aus der Sicht Holbrookes

Heute, fünf Jahre nach dieser Beurteilung und zehn Jahre nach der Abkommens-Unterzeichnung können wir leider kein besseres Resümee ziehen. Selbstverständlich kann die Bilanzierung ohne Richard Holbrooke nicht verlaufen. Anlässlich des "Jubiläums" gab er den Medien dieser Region zahlreiche Interviews.

Wie von einem "Schöpfer" des Abkommens auch zu erwarten, beurteilt er das Resultat positiv: "Das Dayton-Friedensabkommen hat dem Krieg ein Ende gemacht und dem Balkan Frieden gebracht." Das Manko sieht er in der Durchführung des Abkommens und dabei denkt er laut "Dnevni avaz", einer Tageszeitung aus Sarajevo, an den Misserfolg bei den Verhaftungen der beiden Hauptverdächtigen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic, die noch immer auf freiem Fuß ihren Einfluss auf die Politik in der Region ausüben.

Die Realität

Die Medien in der Region dagegen kümmern sich weniger um die mehr oder weniger "Unsichtbaren" Karadzic und Mladic, sondern um die, je nach Ethnien betrachtet, nicht erfüllten Wünsche. So berichtet "Glas javnosti" (Die Stimme der Öffentlichkeit) aus Belgrad, über die Gespräche, die der serbische Prämier Vojislav Kostunica mit dem Präsidenten der Republika Srpska in letzter Zeit mehrmals führte.

Nach dem Bericht der Zeitung geht es um geheime Verhandlungen für den Fall, dass der Kosovo einen von Serbien unabhängigen Status bekommen würde. Die Änderungen im Status der Republika Srpska und ihrer Gliederung in einem gemeinsamen serbischen Staat sollten ein Preis für den "verlorenen" Kosovo sein.

Mesic: Kein geteiltes Bosnien-Herzegowina

Die in dieser Form gesehene Zukunft von Bosnien und Herzegowina ist gerade das, was man eigentlich mit dem Dayton-Abkommen vermeiden wollte - nämlich ihre Teilung.

Der kroatische Präsident Stipe Mesic meinte hingegen zu dem Abkommen: "Viele, die Bosnien zerstört haben, haben gedacht, dass die internationale Gemeinschaft in ihrem Versuch, ein einheitliches Bosnien und Herzegowina zu schaffen, ermüden würde und dass sie dann wieder ihre Abspaltungs-Politik weiter führen könnten. Aber Bosnien kann man nicht teilen und es soll als ein Staat weiter existieren." Er fügt aber doch dazu, dass man "einen Ausbau des Abkommens machen muss".

Die Zeit vor uns

Ohne den Verdienst des Dayton-Abkommens zur Beendigung des Krieges zu schmälern, scheint es, als hätten sich die Gedanken der internationalen Gemeinschaft und der Menschen dieser Region nicht generell in der Bewertung des Krieges, sondern in der Bewertung der Zukunft von Bosnien und Herzegowina stark unterschieden. Es ist klar, dass man, unabhängig davon, ob man mehr die positive Beurteilung im Sinne Richard Holbrookes teilt, oder zu radikalen Änderungen dieser prekären Lage neigt, etwas tun muss.

Im Internet-Portal des Europäischen Parlaments steht ausdrücklich: "Man muss die Konstitution von Bosnien und Herzegowina ändern." Und tatsächlich arbeitet man an einer neuen Staatsverfassung unter dem Patronat des amerikanischen Diplomaten Donald Hays, der als stellvertretender oberster Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina tätig war.

Hays: Bürger- vor Parteien-Interessen

Am Ende des Mandats im März dieses Jahres sagte Donald Hays in seiner Abschiedsrede:

"Ich gehe nach fast vier Jahren aus Bosnien und Herzegowina weg. Ich gehe mit widerstreitenden Emotionen: Mit der tiefen Zuneigung, mit einem Gefühl des Versprechens - und mit Frustration. Die Probleme des Landes kann man nur lösen, wenn man die Interessen der Bürger vor die Interessen der politischen Parteien stellt."

Aus der Sicht Johannes Pauls II.

Man kann nicht mit Sicherheit sagen, ob das Schicksal von Bosnien und Herzegowina von seiner Lage an den Kreuzungspunkten der verschiedenen Zivilisationen abhängig ist, oder dieses Schicksal von äußeren Kräften für ihre Zwecke genutzt wurde.

Johannes Paul II. formulierte diese Zweifel bei auf seinem Besuch in Sarajewo am 13. April 1997 so: "Europa nahm am Krieg als Zeuge teil, doch wir müssen uns fragen: War der Zeuge immer voll verantwortlich?"

Buch-Tipp
Richard Holbrooke, "Meine Mission - Vom Krieg zum Frieden in Bosnien", aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm, Norbert Juraschitz und Heike Schlatterer, Piper Verlag, 1998, ISBN 3492039391

Links
AG Friedensforschung an der Uni Kassel
East West Information Service
The European Parliament
Office of the High Representative und EU Special Representative
United States Institute of Peace
Washington Post