Konstruktivismus

8. April 2017, 21:58

"Was wir als Wirklichkeit wahrnehmen, ist unsere Erfindung" - ein Satz Heinz von Försters, wie geschaffen für Skeptiker. Der 1911 in Wien geborene Förster gehört zu den Gallions-Figuren des Konstruktivismus - einer Geistesrichtung, die allem Glauben an das überzeitliche Absolute abgeschworen hat.

Was wir für die Welt halten, ist unsere Konstruktion, ein Gebilde, das aus den Beschränkungen unserer Sinnesorgane genauso zusammengebaut wird wie aus den gesellschaftlichen Verhältnissen oder Denkmoden, in denen wir leben.

Wer natürlich die Welt quasi selbst erschafft, der hat auch mehr Verantwortung. Und so versucht der Konstruktivismus dem Menschen wieder mehr Autonomie zurückzugeben - gegenüber dem Diktat vermeintlich absoluter Glaubenssätze aus allen Bereichen des Lebens.

Controlling

Zuletzt sind Heinz von Försters Überlegungen auch sehr stark in die Unternehmensführung und -organisation eingesickert. Dort gehört zum Beispiel das Controlling zu den derzeit dominierenden Glaubenssätzen - damit sind alle internen Kontrollsysteme gemeint, alles, was mit Kostenrechnung zu tun hat aber auch die Kopplung von Prämiensystemen und Leistungsdaten.

Alles wird finanziell bewertet: der Mitarbeiter genauso wie der Sessel, auf dem er sitzt, oder das Kopierpapier, das er für seinen Drucker holt. In der Praxis leitet der Rechenstift solche Unternehmen. Wenn es darum geht, Kosten zu senken oder Erträge zu steigern, werden reflexartig Stellen gestrichen und Leute entlassen.

Nix ist fix

Für den Innsbrucker Wirtschaftswissenschafter Albrecht Becker bildet das Controlling aber nur einen kleinen Teil der unternehmerischen Wirklichkeit ab - oder wie Förster radikaler sagen würde - es erfindet unternehmerische Wirklichkeit. Dass es noch viel mehr Möglichkeiten gäbe, Ressourcen, vor allem die Mitarbeiter, effektiver einzusetzen - dafür lässt dieses Modell keinen Platz.

Förster hat an die Stelle des scheinbar Unverrückbaren, der scheinbar überzeitlichen Glaubenssätze ein beständiges "Nix ist fix" gesetzt. Der Dresdener Volkswirtschafter Marco Lehmann-Waffenschmidt erlebt diese Fragilität der Wahrheit zum Beispiel bei jeder Wirtschaftsprognose. Denn derlei Prognosen haben es an sich, allein durch ihre Veröffentlichung in das prognostizierte Geschehen einzugreifen.

Sich selbst erfüllenden Voraussagen

So kommt es vielfach zu einer self-fulfilling-prophecy, einer sich selbst erfüllenden Voraussage, zum Beispiel bei der Prognose von Börsekursen, die gar nichts mit aktuellen Firmenwerten zu tun haben müssen.

"Wenn man zum Beispiel eine Konjunkturprognose veröffentlicht, die sehr pessimistisch ist, dann kann sie ja erst dadurch wahr werden, weil die Akteure dran glauben. Die Konsumenten sparen und die Unternehmen investieren nicht usw. Was ist dann wahr?", sagt der Volkswirtschafter Marco Lehmann-Waffenschmidt.

Auf diese Art und Weise sieht man sich einer Relativität gegenüber die äußerst unzufrieden stellend ist, mit der wir aber laut Lehmann-Waffenschmidt leben müssen. Wenn die Erwartungen der Akteure auf dem Geldmarkt durch geldpolitische Ankündigungen geändert werden, dann können sich die Auswirkungen dadurch verändern, auch in eine Richtung die man gar nicht wünscht.

Primitive Weltmodelle

Politische Akteure hingegen hätten gern fixe Aussagen. Quasi Modelle, die man mit Zahlen füttere, um an einem Hebel zu ziehen, damit sie definierte Ergebnis liefern, so Lehmann-Waffenschmidt.
Heinz von Förster nannte diese primitiven Weltmodelle "triviale Maschinen":

Und so finden im Bereich Politikberatung zunehmend Techniken Verbreitung, welche die Möglichkeiten nahezu beliebiger Konstruierbarkeiten als Bedingung ihrer Durchführung voraussetzen - die Lüge wird so zur Wahrheit eines Konstrukteurs.