Wie Menschen mit dem Tod umgehen

Der Abschied von den Toten

In allen Kulturen der Welt erzeugt der Tod zunächst Ratlosigkeit. Sind Rituale eine geeignete Form, mit dem Tod umzugehen? In ungewöhnlich eingehender und sensibler Form stellt sich dieser Frage ein kürzlich erschienenes Buch.

Das Buch "Der Abschied von den Toten" hat seinen Schwerpunkt in den Toten- und Trauerriten des südasiatischen Raums und stellt ihnen zwei ganz andere Phänomen-Komplexe gegenüber: einerseits die Toten- und Trauerriten im Alten Orient und im Alten Ägypten, und andererseits die Auseinandersetzung mit Tod und Trauer in der westlichen Moderne. Die Unterschiede, aber auch die ins Auge fallenden Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Bräuchen und Gewohnheiten lassen für den Leser Rückschlüsse auf Defizite in unserer heutigen, beinahe trauerlosen Gesellschaft zu:

Die westliche Moderne sieht Trauer meist als Privatsache. Das Totenritual ist oft auf den engsten Familienkreis beschränkt, Kondolenzbesuche finden kaum noch statt, die Friedhöfe verwaisen, Schwarz trägt man nur kurze Zeit, ein für alle sichtbares Trauerjahr gibt es nicht mehr. Tod und Trauer sind keine öffentlichen Ereignisse mehr. Immer beliebter wird es, die Asche der Toten auf einem Feld, im Wald, im Meer oder gar von Heißluftballons aus zu verstreuen. Kein Grabstein erinnert mehr an die Toten. Die Hinterbliebenen haben - hier ist die Sprache verräterisch - ihre Angehörigen im wahrsten Sinne des Wortes verloren!

In die "Ewigkeitsgestalt" überführen

Die in den verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlichen Rituale sollen den Hinterbliebenen helfen, mit dem Schock umzugehen, den Toten angemessen zu verabschieden und ihm - oder ihr - schließlich einen Platz in der Gemeinschaft der Lebenden zuzuordnen.

Wenn es in der Vielfalt der Toten- und Trauerriten so etwas wie einen gemeinsamen Nenner gibt, dann ist er im Gedanken der Umwandlung oder Transformation zu erkennen. Viele archaische Gesellschaften praktizieren körperzentrierte Totenriten. Dazu gehören neben der Mumifizierung auch Verfahren wie Skelettierung, Zergliederung, Mazeration usw., die den Leichnam vor weiterer Verwesung bewahren und in eine "Ewigkeitsgestalt" überführen sollen.

Symbiose mit den Toten

Manche der in dem Buch beschriebenen Trauerrituale muten exotisch an, haben jedoch dieselben Ziele wie viele der bei uns abgekommenen Bräuche wie Totenwache, Trauerkleidung oder Trauerjahr: nämlich Trennung und Versöhnung. Jan Assmann beschreibt, warum das in unserer modernen Kultur so besonders schwierig geworden ist:

Jede Gegenwart tritt, bewusst oder unbewusst, das Erbe einer vorangegangenen Generation an. Die Toten leben in uns, wir mit den Toten weiter, und es kommt viel darauf an, welche - gerade auch rituellen - Ausdrucksformen eine Kultur bereitzustellen vermag, um dieser verborgenen Symbiose kulturelle Gestalt zu geben.

Geschichtliche Trauerarbeit

Der dritte Teil des Buches befasst sich nicht nur mit modernen Traueranlässen wie den tödlichen Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center oder der Tsunami-Katastrophe am 26.Dezember 2004 in Süd- und Südostasien, sondern auch mit den besonderen Schwierigkeiten bei der Trauerarbeit um die Holocaust-Opfer.

Die Beziehung zwischen Lebenden und Toten ist, abgesehen von herausragenden, in das kulturelle Gedächtnis eingegangenen Erinnerungsfiguren, kein Dauerzustand, sondern ein Prozess, der in verschiedenen Stadien abläuft: Stadien der Trauer auf Seiten der Lebenden, Stadien der Statusumwandlung auf Seiten der Toten. Was die Toten des Holocaust angeht, verläuft dieser Prozess nicht in Tagen, Wochen und Jahren, sondern in der Abfolge von Generationen und in Phasen von bisher nicht gekanntem Umfang.

Nützliches Kompendium

Nicht nur die enthaltenen Beiträge selbst, sondern auch die sehr zielführenden Listen weiterführender Literatur machen den "Abschied von den Toten" zwar nicht selbst zu einem Standardwerk, aber zu einem äußerst nützlichen und umfassenden Kompendium für jeden, der sich mit dem Thema der Totenrituale näher befassen möchte.

Buch-Tipp
Jan Assmann, Franz Maciejewski und Axel Michaels u. a., "Der Abschied von den Toten. Trauerrituale im Kulturvergleich", Wallstein Verlag, ISBN 3892449511