Die Türkei und ihre Kopfbedeckungen

Das Ding auf dem Kopf

Atatürk verbot 1925 per Gesetz den Fez und forderte seine Landsleute zum Tragen des Hutes auf. Der Hut war das Symbol von Modernität und Westorientierung, doch im Osten des Landes verweigerten sich viele dieser "Kopfbedeckung der Ungläubigen".

"Ging die Reise mit ungewöhnlicher Nervosität an", schrieb der Brite Lord Kinross in seiner Biografie über Mustafa Kemal. Kemal, der später "Atatürk", also "Vater der Türken" genannt werden sollte, brach am 25. August 1925 in die zentralanatolische Kleinstadt Kastamonu auf. Den Ort hatte er ganz bewusst ausgesucht, galt er doch als einer der konservativsten Gegenden des Landes.

Kalifat abgeschafft

1925 war die von Atatürk begründete Türkische Republik gerade zwei Jahre alt, der Sultan des untergegangenen Osmanischen Reichs war des Landes verwiesen, Ankara zur neuen Hauptstadt geworden, der Zehent, der auf der bäuerlichen Bevölkerung lastete, abgeschafft.

Abgeschafft war auch das Kalifat - der Kalif war immerhin das geistige Oberhaupt aller Muslime gewesen, und die Atatürk'sche Maßnahme kann man in ihrer Bedeutung nur verstehen, wenn man sich ausmalt, was passiert wäre, wenn Garibaldi 1870 nicht nur den Kirchenstaat zerschlagen, sondern auch gleich das Papsttum abgeschafft hätte.

Die Hut-Reise
Die Reise Atatürks nach Kastamonu vor genau 80 Jahren ging als die "Hut-Reise" in die türkische Geschichte ein. Mustafa Kemal hielt flammende Reden über die Notwendigkeit, den Fez abzulegen und "zivilisierte, internationale Bekleidung" anzunehmen. Drei Tage lang paradierte Atatürk über die Hauptstraße des Städtchens, und jedes Mal war er anders gekleidet. Im Mittelpunkt dieser Modeschauen stand aber immer ein Hut.

Der Hut war das Symbol von Modernität und Westorientierung, und als kurz danach sein Tragen sogar per Gesetz vorgeschrieben wurde, wurden in Istanbul theatralisch die Feze in den Bosporus geworfen. Ganz rot sei das Wasser stellenweise gewesen, hieß es in - wohl dramatisch zugespitzten - zeitgenössischen Berichten. Im Osten des Landes weigerten sich hingegen viele Muslime, die Kopfbedeckung der Ungläubigen, als die der Hut galt, aufzusetzen. Die Regierung rief in diesen Gebieten den Ausnahmezustand aus, die Polizei verhaftete Hunderte von Fezträgern, sogar Todesurteile wurden verhängt.

Verwirrung auf und ab

Dort, wo die neue Kopfbedeckung akzeptiert wurde, kam es nicht selten zu skurrilen Situationen. Viele Türken, die sich die Anschaffung eines Huts nicht leisten konnten, bastelten sich einen solchen aus Papier. Man konnte Männer sehen, die Damenhüte oder Hüte mit Bändern und Federn trugen.

In der Nähe des Dolmabahce-Palasts in Istanbul rief ein Muezzin zum Gebet - auf seinem Kopf ein Bowlerhut, eine "Melone". Und aus Sinop am Schwarzen Meer wurde von einem alten Mann berichtet, der sich in gutem Glauben einen breitkrempigen schwarzen katholischen Bischofshut andrehen hatte lassen.

Symbol des Fortschritts
Kemal Atatürk war nicht der erste, der mit der Kopfbedeckung die gesellschaftliche Ausrichtung des Landes verändern wollte. Nahezu genau 100 Jahre davor, 1828, hatte Sultan Mahmut II. seine Beamten zum Tragen des Fez verpflichtet. Die kegelstumpfförmige Kopfbedeckung aus rotem Filz mit schwarzer Quaste galt damals gegenüber dem Turban als Symbol des Fortschritts. Während diesen nur Muslime tragen durften und Form, Farbe und Wickelung soziale Unterscheidungsmerkmale waren, waren mit Fez alle männlichen Untertanen des Sultans gleich.

In den Städten setzte sich die neue Kopfbedeckung schnell durch, doch viele Gläubige lehnten ihn nach seiner Einführung noch lange ab - eine Situation, die sich ganz ähnlich unter Atatürk 100 Jahre später wiederholen sollte. Nur galt da der Fez nicht mehr als Symbol der Modernität, sondern als Markenzeichen des verachteten Osmanischen Reiches.

Die weibliche Form

Die Geschichte schlägt bekanntlich Kapriolen, und so beschäftigt das Ding auf dem Kopf die Türkei heute wieder - jetzt aber in seiner weiblichen Form, als Kopftuch. Seit Mitte der 1980er Jahre sieht man in den großen Städten wieder mehr Kopftücher tragende Frauen.

Sie tragen nicht die traditionellen ländlichen Kopftücher, sondern den islamistischen "türban". Der gilt dem Staatsapparat und den tonangebenden Militärs als Symbol der Anti-Moderne, als Vorbote einer befürchteten Re-Islamisierung der Türkei. Seit 1989 sind die Kopftücher in öffentlichen Gebäuden, vor Gericht und auf den Universitäten verboten.

Das hat zu zum Teil absurden Umgehungsstrategien geführt: Manche Frauen ziehen sich eine Perücke über ihr Kopftuch, wenn sie auf die Uni gehen; Fotostudios haben sich auf das Wegretuschieren von Kopftüchern bei Passfotos spezialisiert. Andere Frauen haben eine feministisch anmutende "Menschenrechtsvereinigung gegen Frauendiskriminierung" gegründet - gemeint ist die Diskriminierung der Kopftuchträgerinnen. Diese Politaktivistinnen sind jedoch keine rückständigen Landeier: Unter ihnen findet man Ärztinnen, Juristinnen und Computerspezialistinnen.

Hör-Tipp
Hörbilder, Samstag, 31. März 2007, 9:05 Uhr