Der eine Gott und die vielen Götter

Gewalttätige Religionen

Religionen können hilfreich sein, wenn Menschen nach dem Sinn ihres Lebens suchen oder wenn es um ethische Grundsätze des Zusammenlebens geht. Doch Religionen können auch gewalttätige Konflikte heraufbeschwören.

Irmgard Fischer interpretiert Worte der Bibel

Ein persisches Sprichwort sagt: "Die Religion gleicht einer Kerze, sie kann einen Raum erleuchten, sie kann ihn aber auch in Brand stecken. Es liegt an einem selbst, welchen Gebrauch man davon macht".

Beispiele religiöser Gewalt

"Bei unsachgemäßer Verwendung wird vor lebensgefährlichen Nebenwirkungen gewarnt" - so könnte das Schild auf dem Arzneifläschchen mit der Aufschrift "Religion“ lauten. Religionen können hilfreich sein, wenn Menschen nach dem Sinn ihres Lebens suchen oder wenn es um ethische Grundsätze des Zusammenlebens geht. Doch Religionen können auch gefährlich und zerstörerisch sein.

Ein Blick auf die täglichen Schlagzeilen in den Medien beweist deutlich: Religiös motivierte Gewalt gehört heute zur Tagesordnung: In Nordirland hält der Waffenstillstand, der zwischen Katholiken und Protestanten nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg ausgehandelt wurde, nur mit Mühe. Orthodoxe Serben, katholische Kroaten und muslimische Bürger haben einander in Bürgerkriegen im ehemaligen Jugoslawien das Leben zur Hölle gemacht, und der Konflikt ist noch nicht gelöst. Im Kampf zwischen Israel und den Palästinensern spielen immer wieder religiöse Motive eine wichtige Rolle. Im Irak wird die christliche Minderheit durch islamistische Terroristen systematisch attackiert. Mit anderen Worten: Religion und Gewalt stehen in einem engen Verhältnis zueinander.

Die Hauptakteure

Juden, Christen und Muslime - das sind die Hauptakteure in den gewalttätigen Konflikten der Gegenwart. Der Glaube an den einen Gott macht Menschen aggressiv und gewalttätig. Das ist der Schluss, den man aus den vielen Berichten der Medien über gewalttätige Konflikte ziehen muss.

Besonders der Islam scheint eine gewaltbereite Religion zu sein. Vor allem seit dem 11. September 2001 wird immer wieder davon geredet, dass es einen Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen gebe. Das "Haus des Islam" führe Krieg gegen das "Haus der Ungläubigen" - diese mittelalterliche Doktrin wird gerne zitiert, von Islamisten genauso wie von ihren Gegnern. Und kritische Geister sagen, der Islam sei eben als monotheistische Religion besonders gefährlich und gewaltbereit.

Die Leser sind das Problem

Nicht dieser Meinung ist der Grazer Religionswissenschaftler Karl Prenner. Er entgegnet, gerade am Beispiel des Jihad könne man deutlich sehen, dass sich die militanten Islamisten bei ihren Anschlägen gar nicht an die Scharia, an das fundamentale Regelwerk des Islam, hielten:

"Nicht die heiligen Texte, sondern die Leser sind das Problem. Nicht der Kampf zwischen den Kulturen und den Religionen findet statt, sondern ein Kampf zwischen zwei verschiedenen Gruppen, und die Front verläuft quer zu allen Religionen und Kulturen".

Polytheismus friedlicher?

Ob Religion gewalttätig wird, ist vor allem ein soziales, soziologisches Problem, sagt Irmtraud Fischer, Professorin für Altes Testament in Graz. Und das gilt nicht nur für die monotheistischen Religionen, sondern auch für die oft als friedliebend dargestellten Hindu-Traditionen mit ihren vielgestaltigen Göttern und ihrem Kastensystem. Angehörige der fundamentalistischen indischen Hindutva-Bewegung sind beispielsweise äußerst aggressiv anderen Religionen gegenüber. Ein Beispiel von vielen: Im Oktober 2002 werden in einem Ort 50 Kilometer westlich von Delhi fünf Dalits, so genannte Unberührbare, vom Hindu-Mob gelyncht. Grund: Sie hätten eine Kuh bei lebendigem Leib gehäutet. Die Begründung von Angehörigen der fundamentalistischen Hindutva-Bewegung: Eine Kuh ist wertvoller als fünf gelynchte Dalits. Der Grazer Dogmatiker Otto König dazu:

"In Indien, einem Land mt einer Milliarde Einwohner und weit über hundert verschiedenen Sprachen und Kulturen, stehen Pluralismus und Fundamentalismus einander gegenüber, religiöse Vielfalt versus religiöse Monokultur oder Toleranz, Koexistenz und Kooperation versus Intoleranz, Ausschluss und Gewalt gegenüber dem religiös Anderen. Nicht der von Samuel Huntington prognostizierte Clash of Civilizations ist es, der die Zukunft der Welt entscheiden wird, sondern eine Art 'Weltkrieg' zwischen Dialogbereiten und Dialogverweigerern".

Das Christentum - eine Religion der Liebe?

Oft hört man die Meinung, dass nur das Christentum eine Religion der Liebe sei und daher den anderen beiden Abrahamsreligionen, dem Judentum und dem Islam, überlegen. Ein Blick auf die Geschichte zeigt aber anhand einiger Beispiele rasch, dass dem nicht so ist:

Schon der Kirchenvater Augustinus legitimierte die Gewalt zur Bekehrung von Ungläubigen. Die christlichen Kreuzfahrer wateten auf ihren Weg zum "Heiligen Land" durch ein Meer von Blut der von ihnen erschlagenen Juden und Muslimen. Die katholische Inquisition hat diejenigen, die vom "rechten Glauben" abwichen, auf grausame Art ermorden lassen. Viele Frauen sind der von katholischen und protestantischen Geistlichen getragenen Hexenverfolgung zum Opfer gefallen. Zwischen Protestanten und Katholiken ist es zu grausamen Religionskriegen gekommen. Schließlich haben sich noch im 20. Jahrhundert christliche Kirchen immer wieder mit antidemokratischen reaktionären und faschistischen Mächten verbündet.

Was sagt die Bibel?

"In der Bibel, im Grundbuch der jüdisch-christlichen Tradition, wird man zu keiner schlüssigen Antwort kommen", so die Grazer Alttestamentarierin Irmtraud Fischer. Dass just nur der biblische Monotheismus so gewalttätig sei, lasse sich bei einem genaueren Blick auf die Bibel jedenfalls nicht bestätigen.

Wenn es um Religion und Gewalt geht, scheiden sich die Geister - nicht zwischen den Religionen, sondern innerhalb der Religionen. Die schwierige Frage ist heute: Wie lebt man die eigene Religion authentisch? Und was ist die authentische Tradition? Für die biblische Theologie lässt sich eine klare Antwort geben, die nur auf den ersten Blick unbefriedigend erscheint: Absolute Wahrheiten gibt es nicht, aber klare Richtlinien. Irmtraud Fischer dazu:

"Die Bibel bietet keine absoluten Ordnungen - aber sehr klare Orientierungen, wenn es ums friedliche Zusammenleben geht. Und der Rest - der liegt an den Menschen".

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