In der alten Heimat Bosnien unerwünscht

Safeta Obhodjas

Sie lebt in Deutschland, die Verbindung zu ihrer Heimat Bosnien lässt Safeta Obhodjas jedoch nicht abreißen. "Offiziell existiere ich dort nicht," sagt sie, ihre Bücher werden jedoch unter der Hand gehandelt und mit Begeisterung gelesen.

"Frauen zählen für die Männer meiner Heimat nicht. Sie sind so voll mit ihrem Ich, so hundertprozentig mit sich selbst beschäftigt, dass Frauen in ihrem Leben nicht vorkommen, außer als Wesen, die ihnen das Leben angenehmer machen. Und die Frauen selbst bleiben im Hintergrund, definieren sich allein über ihre Männer."

Das ist kein Jahrhunderte alter Bericht von einem fernen Planeten. Das ist ein Erfahrungsbericht aus dem Bosnien unserer Tage. "Die Situation ist im Grunde noch schlimmer als vor dem Krieg", fasst die im Exil lebende bosnische Schriftstellerin Safeta Obhodjas ihre Eindrücke von einer Lesereise durch ihre alte Heimat zusammen.

Männerbeherrschte Kulturszene

Zurückkehren nach Bosnien? "Wie denn? Diese Männerclique, die die kulturelle Szene beherrscht, hat alle Türen für mich verschlossen", erzählt sie mir. "Nicht einmal meine Besuche sind erwünscht. Dabei würde ich gerne öfter nach Bosnien reisen." Sie ist ja durchaus keine unbekannte Größe in ihrer alten Heimat.

"Man hat mir erzählt", sagt sie nicht ohne Stolz, "dass Studenten meine Erzählungen aus alten Literaturzeitschriften für die Unterrichtsanalysen kopieren, und meine Bücher sind in den Bibliotheken ständig ausgeliehen. Aber offiziell existiere ich nicht."

"Begegnung Christen und Muslime"

Sie arrangiert sich mit diesen Gegebenheiten, so gut es geht, packt multikulturelle Projekte an, um die Verbindungen zwischen Bosnien, Österreich und Deutschland aufzuzeigen. "Begegnung Christen und Muslime" nennt sie dieses Projekt. Das erste Ergebnis, "Legenden und Staub", ist 2001 im LIT Verlag Münster erschienen: eine Abendland-Morgenland-Arabeske, entstanden in der Spannung zwischen Prosa und Lyrik, Mann und Frau, Arabischem und christlichen Denken. Ihr Co-Autor Sargon Boulus, einer der renommiertesten Lyriker des Irak, lebt seit 1967 im Exil.

Und Deutschland? "Ich habe in Deutschland eine neue Heimat gefunden, da ich nicht mehr nach Hause kann", sagt sie. "Ich habe mir die deutsche Sprache zu Eigen gemacht: Ich schreibe deutsch, vergesse aber die Sprache meiner Mütter nicht. Und ich muss zugeben, dass ich es genieße, alle Bücher lesen zu können, die mir in der alten Heimat nicht zugänglich waren, weil sie nicht ins Bosnische übersetzt wurden. Und weil mittlerweile überhaupt keine Übersetzungen mehr gemacht werden. Für wen denn?"

Sich auf das Fremde einlassen

Und dennoch ist es "eine lange Brücke" aus dem zerschossenen Bosnien ins Bergische Land, wo sie jetzt lebt und sich als Schriftstellerin (halbwegs) anerkannt fühlt. "Die Menschen sind heute viel offener als noch vor zehn Jahren. Sie sind bereit, auch andere Wurzeln zu akzeptieren, und fallweise sind sie auch bereit, sich mit den Tragödien der Fremden auseinander zu setzen, sich auf das Fremde einzulassen. Ein Lesekreis hier in der Umgebung hat sich meine 'Scheherazade' als Lektüre ausgesucht."

"Scheherazade im Winterland", ihr viertes Buch, erzählt vom Leben einer Schriftstellerin in der Männergesellschaft Bosniens. Von ihrem eigenen Leben. Wie überhaupt alle ihre Geschichten eng mit ihrem eigenen Leben verbunden sind. Und in ihr Leben "eingegriffen" haben. "Seit meiner allerersten Geschichte saß ich zwischen allen Stühlen. Den Christen war ich zu national, den Muslimen zu aufrührerisch."

Der Finger in der Wunde

Klar, sie ist unbequem. Beobachtet genau. Schreibt auf. Zeigt, was die anderen lieber verschwiegen hätten. Legt den Finger in die Wunde. Seziert menschliche Schwächen, männliche Eitelkeiten. Diagnostiziert Lüge, Unverständnis, Angst - exemplarisch in ihrem Roman "Rache und Illusion. Ein bosnisches Gastmahl". Damals, als sich die Brutalität der "männlichen Maschinerie" noch unter der scheinbar ruhigen Oberfläche tarnte, ahnte sie schon den Ausbruch der Gewalttätigkeit, der zu Krieg und Genozid führte, schrieb groteske, düstere Bilder einer Wirklichkeit nieder, von der sie gehofft hatte, dass sie nie Wirklichkeit würde.

"Im Sommer 1992 schloss ich diesen Roman ab. Es gab wenig Hoffnung, dass ich seine Veröffentlichung erleben würde. Die Messer waren gezückt, wir rechneten mit unserem Tod. Ich dachte daran, die Manuskripte zu vergraben, damit sie für meine Töchter erhalten blieben." Und für die bosnischen Frauen, die es wagen, "selbst" zu werden, setzt sie heute hinzu.

Service

Safeta Obhodjas, "Scheherazade im Winterland", Melina Verlag

Safeta Obhodjas, "Legenden und Staub : Auf den christlich-islamischen Pfaden des Herzens", LIT Verlag

Safeta Obhodjas