Essay von Franz Schuh

Was gibt es Neues?

In seinem Essay widmet sich Franz Schuh dem "Conradsismus": Das war ein staatstragender Versöhnlichkeitskult auf der Grundlage darstellerischer Virtuosität: Alles wird gut, alles hat seine Ordnung und wir wünschen allen alles Gute.

Seinerzeit, zum 70. Geburtstag von Heinz Conrads, fand fürs Fernsehen eine Geburtstagsfeier statt - die Feier hatte den Charakter eines geheimen, wenngleich öffentlichen Staatsaktes. Am 9. April 1986 starb Heinz Conrads, und was von den Begräbnisfeierlichkeiten in der Zeitung stand, erweckte in mir den Eindruck, der Tod eines Kaisers hätte die Massen nicht mehr ergriffen!

Ich spreche von "Conradsismus" - wie von einer der großen geistigen Schulen Österreichs. Conradsismus, das war ein staatstragender Versöhnlichkeitskult auf der Grundlage darstellerischer Virtuosität: Alles wird gut, die Menschen teilen sich in die Buam und in die Madln, in die Alten und in die Kranken, alles hat seine Ordnung und wir wünschen allen alles Gute.

Henderl statt Schmalzbrot

Das Wesentliche am Conradsismus war die extreme Passivität ohne den leisesten Gedanken an Verzicht. Ganz ohne Anstrengung sollte zur Verfügung stehen, was gut tat und was anderswo nur als Ernte von Taten einzubringen war. Dahinter stand die propagierte Abschlaffung - ein medial inszenierter politischer Wille, radikal zu vergessen, was einmal in Österreich Sache war: 1927, 1934, 1938, 1945... Und es ging bergauf:

"Wer sich vor zehn Jahren", schrieb Conrads 1959, "ein Schmalzbrot gewünscht, leistet sich heute ein Henderl. Was früher eine Netzkarte war, ist heute ein Goggomobil geworden. Ein Urlaub am Gänsehäufl wurde zum verdienten Aufenthalt in Jesolo und Mallorca. - Es geht uns gut."

Die kleinen Neuigkeiten

Aber seltsam, ganz behaglich will man sich in dieser Gegenwart nicht einrichten. Irgendeine Mahnung will man doch aussprechen und so führt Conrads weiter aus:

"Vielleicht haben wir viel zu schnell vergessen, wie's war und vielleicht finden wir's manchmal zu selbstverständlich, dass es uns gut geht. Vielleicht beachten wir nur mehr Sensationen und nicht mehr die kleinen Neuigkeiten unseres Alltags. Doch immer wieder gab es diese kleinen Neuigkeiten, die dann, wenn man stehen bleibt und zurückschaut, unser Leben sind."

Freundliche Omnipräsenz

Der Kurzschluss von Alltag und Großereignis zu Gunsten des Alltags, als ob nicht die "Sensationen" diesen Alltag von unterst zu oberst kehren können; die Einladung, sich zu erinnern, als Aufforderung zum Vergessen; vor allem aber das Vertiefen ins Kleine, neben dem nichts Größeres Bestand hat - das sind wichtige Elemente des Conradsismus.

Conrads, ein Mann, der von einer freundlichen, ja beinahe schon therapeutischen Omnipräsenz in Österreich war - 30 Jahre lang hat er eine Fernsehsendung, 40 Jahre eine Radiosendung, nein, nicht moderiert, sondern wirklich "gestaltet", sie verkörpert - dieser Heinz Conrads ist heute nahezu von der Bildfläche verschwunden. Der Conradsismus hat überlebt, aber er ist unpersönlich geworden.

Was "der alte Nowotny gesagt hat"

Das Wort UNVERGESSLICH haftet dem Künstler gerade noch an, und aus den Zeitungen tönt manchmal auch der Klagelaut: Warum haben wir denn heute keinen von seinesgleichen? Die Frage ist leicht zu beantworten: Die Zeiten sind andere geworden, die Sozialpartnerschaft, dieser politisch verankerte Inbegriff des Versöhnlichen, ist einer Konfliktstrategie von oben gewichen. Die goldenen Zeiten, "als Böhmen noch bei Österreich war", von denen Heinz Conrads sang, hat keiner mehr in Erinnerung, und egal, was "der alte Nowotny gesagt hat", die Tschechen bilden eine selbstbewusste Nation, die kein böhmakelnder österreichischer Schauspieler mehr verniedlichen kann.

Hat Conrads gewusst, was der Preis der Versöhnung um jeden Preis war? Ach, da gibt es ein Gedicht von Georg Strnadt, ein "Resignation" genanntes Virtuosenstück der Depression, ein Gedicht, das die andere Seite pflichtgemäßer Heiterkeit verständlich zu machen scheint:

I was net, wos i hob
i bin so miad ...

Was bleibt ist der Wein

Das lyrische Ich fragt sich, ob es am Alter liegt oder "am miesen Fraß". Alles falsch gemacht, ist die Botschaft und der Schluss daraus: Am besten man täte gar nichts mehr. Man wüsste schon, was man noch gern hätte, aber man traut sich nicht, es zu sagen. Man ist zu alt und geniert sich für seine Wünsche. Was bleibt ist der Wein, also Einschenken!

Der Volksschauspieler, der Moderator wurde, trifft in seinem Vortrag den Grundton der Depression so perfekt, dass man glauben könnte, er weiß genau, wovon er redet. Aber bei Schauspielern kann man sich täuschen und man soll es ja auch: Es ist der Zweck ihrer Übung.

Download-Tipp
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