Die vielen Gesichter der Wirklichkeit

Illusion und Wirklichkeit

Warum verkleidet man sich im Fasching? Warum schildern zwei Menschen dasselbe Ereignis völlig unterschiedlich? Die verschiedenen Gesichter der Wirklichkeit und die Lust an der Illusion sind die Antwort auf diese Frage.

Jedes Spiel beinhaltet eine Illusion. Frühere Theorien waren davon ausgegangen, dass die Menschen das Spiel mit der Wirklichkeit verwechseln. Johan Huizinga jedoch prägte den Begriff des "heiligen Ernsts" im Spiel. Menschen, die beim Fußballspielen in Raserei geraten, wissen genau, dass es eine Illusion ist. Darum haben sie auch so viel Spaß daran.

Überall, wo Menschen sich ereifern, wo sie Tränen lachen oder weinen, hat das mit einer Illusion zu tun, sagt Robert Pfaller von der Kunstuniversität Linz. Und er fügt hinzu: mit einer Illusion der anderen.

Illusionen ohne Bekenner

Pfaller erklärt das in seinem Buch "Die Illusionen der anderen" am Beispiel des Faschings und des Maskenkults in afrikanischen Kulturen. Die Ethnologen mussten feststellen, dass niemand im Dorf "wirklich" an den Maskenkult glaubt. Es gibt keine Bekenner, der Glaube an die Masken wird bestenfalls noch den Vorfahren unterstellt.

Selbstachtung statt Spaß

Dasselbe gilt heute für den Fasching. "Die Leute aus der Stadt sagen, wir sind nicht so dumm wie die Leute auf dem Land, die über den Fasching lachen", meint der Philosoph Pfaller. "Da wird den anderen unterstellt, dass sie die Eigentümer dieser Illusion wären. Das ist aber nicht korrekt, weil die anderen Spaß daraus beziehen. Der sollte uns eigentlich darüber belehren, dass er ein Spiel ist."

Die einen betreiben trotz dieses Wissens das Maskenritual weiter, die anderen nicht mehr. "Diese haben zwar keinen Spaß, aber sehr viel Selbstachtung. Sie sind stolz darauf, dass sie so klug sind und alle Illusionen verwerfen, die nicht vernünftig sind", so Pfaller.

Keine naturwissenschaftliche Wirklichkeit

Die Wirklichkeit hat viele Facetten. Wir stehen oft nur blind davor. Wir machen es uns sehr einfach, wenn wir an die einzig wahre naturwissenschaftliche Wirklichkeit glauben. Denn selbst die ändert sich laufend, wie Gerhard Fasching in seinem Buch "Illusion der Wirklichkeit" beweist.

Er nennt das Beispiel von Einstein, der mit seiner Theorie der Raumkrümmung die Physik total veränderte und das Theoriegebilde um das Newtonsche Gesetz der Schwerkraft außer Kraft setzte.

Neue Wirklichkeiten

Es gibt sogar verschiedene, gültige Wirklichkeiten nebeneinander. Parallelwirklichkeiten bilden sich heraus, wenn ein völlig neuer Ansatz gewählt wird. Die Schulmedizin im Gegensatz zur Homöopathie zum Beispiel oder die verschiedenen Lichttheorien, die alle auf völlig andere Weise die Erscheinungen von Reflexion und Brechung zu erklären suchen.

Aus einer Wirklichkeit heraus kann man aber eine andere Wirklichkeit nicht widerlegen. "Das alles spricht für ein Offensein gegenüber fremden Gedanken und Kulturen", meint Gerhard Fasching.

Ich weiß, was du denkst

Der Pionier des Konstruktivismus Paul Watzlawick meint, dass die Wirklichkeit nur das Ergebnis von Kommunikation ist. "Die Hauptursache menschlicher Konflikte ist die Annahme: ich weiß genau, was du denkst.", meint Watzlawick.

Er hat diese Erkenntnis erfolgreich in der Paartherapie angewandt: Der eine muss den Standpunkt des anderen erklären. "Falls die Tatsachen nicht unserer Wirklichkeitsauffassung entsprechen, neigen wir dazu", so der Psychotherapeut Watzlawick "sie einfach zu verdrehen, statt umgekehrt unsere Weltschau den Gegebenheiten anzupassen."

Buch-Tipps
Gerhard Fasching, "Illusion der Wirklichkeit", Springer Verlag, ISBN 3211403744

Gerhard Fasching, "Phänomene der Wirklichkeit, Okkulte und naturwissenschaftliche Weltbilder", Springer Verlag, ISBN 3211834591

Robert Pfaller, "Die Illusionen der anderen", Suhrkamp-Verlag, 2003, ISBN 3518122797

Paul Watzlawick, " Wie wirklich ist die Wirklichkeit?", Piper Verlag, ISBN 3492201741

Links
Gerhard Fasching - Illusion der Wirklichkeit
Gerhard Fasching - Phänomene der Wirklichkeit
Robert Pfaller - Die Illusionen der anderen