Mannsein ist schwer

Ich bin da

Erwachsenwerden hat auch mit Gewalt zu tun - zumindest im Neapel der 60er Jahre, in dem ein 13-jähriger Bub, Ich-Erzähler in Erri De Lucas Roman, lebt. Er steht am Übergang in eine neue Welt, denn mit der Pubertät beginnt das "böse Wollen".

Der junge Mann, aus dessen Perspektive der Roman von Erri De Luca, einem Neapolitaner des Jahrgangs 1950, erzählt wird, ist zwar erst 13 Jahre alt, doch im Neapel der Mitte der 60er Jahre hat man früh erwachsen zu werden, wie es im Text so schön heißt.

Die familiäre Situation des Ich-Erzählers ist alles andere als rosig. Die Mutter ist schwach und kränkelnd. Wenig später wird sie ins Krankenhaus eingeliefert, wo sie stirbt. Der Vater ist Hafenarbeiter. Er wirkt alt und gebrochen, besonders nach dem Tod seiner Frau, mit der er auf symbiotische Weise verstrickt ist. Der 13-jährige Ich-Erzähler bleibt aus dem Leben seiner Eltern praktisch ausgeschlossen. Früh muss er selbst Verantwortung für sich übernehmen.

"Nu bist Mann"

Mit dem Eintritt in die Tischler-Lehre ist die Kindheit praktisch vorbei. Die Mutter kommentiert diesen lebensgeschichtlichen Wandel mit den Worten: "Nu bist Mann, bringst ein Geld nachhaus".

"Samstags bringe ich den Lohn, doch von hier bis zum Mannsein, da fehlt noch viel", meint der Sohn jedoch, und: "Erst mal ist die Stimme weg, und ich klinge heiser."

Die Einfachheit der kindlichen Perspektive

An der Stimme bemisst sich auch in De Lucas Roman das Erwachsenwerden. Sein Buch endet mit einem Schrei. Mit dem irgendwie erlösten, aber doch schmerzvollen Schrei des Ich-Erzählers, einer Art zweitem Geburtsschrei, der den wirklichen Abschied von der Mutter bedeutet.

Von dem lauthals schreienden Ende einmal abgesehen, ist der Stil des Autors eher zurückhaltend. Sparsam, fast asketisch setzt er die Worte. Überzeugend wird die Einfachheit der kindlichen Perspektive dargestellt. Nur dort, wo das Neapolitanische in den Text einbricht, dort bricht zugleich etwas Lautes und Gewaltvolles in die erzählte Welt ein.

Das "böse Wollen"

Es ist die Welt der Erwachsenen. Und offensichtlich hat Erwachsenwerden auch mit Gewalt zu tun. Mit der Pubertät beginne das "böse Wollen", heißt es im Text. Indem der junge Mann abends seinen lauten neapolitanischen Tag ins leise Schrift-Italienisch überträgt und damit zum Autor des Buches wird, schafft er sich einen Freiraum. Er steht am Übergang in eine neue Welt, in der beide Sprachen ihren Platz haben.

Das Erwachsenwerden des Ich-Erzählers wird flankiert von drei märchenhaften Figuren: vom Tischler-Meister Errico, der an Collodis Ceppetto erinnert; vom jüdischen Schuster Rafaniello, der dem Ich-Erzähler einen Schutzengel und geistigen Lehrmeister abgibt; und nicht zuletzt von Maria, einem hübschen jungen Mädchen aus der Nachbarschaft, mit der er seine erste Liebesgeschichte erlebt.

Der Bumerang

Besonders an der Beschreibung von Liebe und Sexualität bei diesen beiden Halbwüchsigen zeigt sich die Qualität des Romans. In einfachen Worten und stimmigen Bildern schildert De Luca diesen aufregenden und zugleich befremdlichen Prozess. Herausragend dabei das leitmotivisch eingesetzte Bild des Bumerangs.

Diesen Bumerang bekommt der Ich-Erzähler am Anfang des Buches von seinem Vater geschenkt und er wird zum Symbol seiner Mannwerdung. Das Training mit dem Bumerang begleitet den Entwicklungsprozess des jungen Mannes wie ein Basso Continuo. Mit der Muskelspannung wächst auch die erzählerische Spannung und es ist bezeichnend, dass er dieses "Werkzeug eines alten Volkes", wie es im Text genannt wird, am Ende des Buches wie in einem Befreiungsschlag wegwirft - allerdings so, dass es nicht mehr zurückkommt.

Buch-Tipp
Erri De Luca, "Ich bin da", Deutsch von Annette Kopetzki, Verlag Rowohlt 2004, ISBN 349803913