Der bayerischer Provokateur beendet sein Künstlerleben

Achternbusch-Gesamtausgabe, Band 3

Ein Abend im Hofbräuhaus. Herbert Achternbusch, der Urahn aller Christoph Schlingensiefs zwischen Kiel und Ruhpolding, ist dort, um, wie er sich ausdrückt, Japaner zu schauen. Das tut er angeblich sehr gern, wenn er nicht schreibt. Oder malt. Oder Filme macht.

"Ich schreib' zwar, aber ich bin kein Literat"

Bier trinken ist Bedingung, denn, so Herbert Achternbusch, "wenn wir ein Bier trinken, bekommt München wieder eine Realität". Und dann sagt er noch: "Alles ist vergänglich, nur der Kuhschwanz, der bleibt länglich."

Bayerischer Querschädel

Herbert Achternbusch, der im November 65 Jahre alt geworden ist, wird seit drei Jahrzehnten gern mit den Attributen Querschädel, Anarchist, ja sogar Staatsfeind bedacht. In Bayern ist man so etwas sehr schnell. Da reicht es aus, die Lehren der katholischen Kirche zu ironisieren oder dem brutal-gemütlichen Alltagsfaschismus aufzulauern. Der deutsche Diktator ist halt eine Geburt des bayerischen Bierkellers.

Seit einigen Jahren hat Achternbusch im Waldviertel seine zweite Heimat gefunden. Und einen Verlag. Nicht Suhrkamp oder Hanser, wie früher, betreuen sein Gesamtwerk, sondern die Bibliothek der Provinz. Dort ist nun der dritte Band der Gesamtausgabe erschienen. Der wiederum besteht aus vier schmalen Büchern: "Mein Vater heißt Dionysos", "Liebesbrief", "Ich als Japanerin" und "Schnekidus".

Gesamtkunstwerk Achternbusch

Man kann Herbert Achternbusch ruhigen Gewissens als bayrisches Gesamtkunstwerk bezeichnen. Er schreibt, malt, und hat nicht weniger als 24 Spielfilme realisiert. Achternbusch ist Teil seines stetig wachsenden Gesamtkunstwerks.

Da mag es ein wenig verwundern, dass ausgerechnet in Österreich die Gesamtausgabe seiner Werke im Entstehen ist. Denn es mag doch ein wenig zu früh sein, wenn man mit 65 Künstlerjahren eine Bestandsaufnahme seiner Schriften in die Wege leitet.

"Ich wollte eigentlich ein Künstlerleben führen, das beendet ist, bevor mein natürliches Leben beendet ist."

Alles fließt

Bei Achternbusch, ob auf der Filmrolle oder auf dem bedruckten Papier, ist alles im Fluss. Die griechische Philosophie hat es ihm angetan, das Panta re, dass eben alles fließt und eben nur willkürlich begrenzt werden kann.

"Der Fluss ist das Wichtigste. Des weiß doch a jeder, wie's im Kopf zugeht. Warum soll ich am Blatt Papier reinen Tisch machen, wenn's in mir keinen reinen Tisch gibt. Wir haben eigentlich ein Kopfleben, von dem wir a bissl a Ahnung haben, vielleicht einen Zipfel einmal erwischen, aber letzten Endes ziemlich blöd danebenstehen. Ich glaube, alles Geheimnis der Schriftstellerei ist, ob ein Individuum den Einstieg findet in seinen Gedankenfluss."

Assoziationsreiches Denken

Der dritte Band seiner Gesamtausgabe ist sicher ein guter Einstieg ins fließende und assoziationsreiche Denken des Künstlers. Da schreibt er über die lebenswichtige Begegnung mit Werner Herzog, der Achternbuschs Weg zum Filmemacher mitbereitet hat, da betritt Martin Walser als Parsival der deutschen Literatur die Bühne, der Geheimrat Goethe führt ein Gespräch mit Sisyphus über den Zustand der Welt und der Literatur.

Achternbusch höchst persönlich hält ein Plädoyer für die komplette Umwandlung des deutschen Theaters. Keine Stücke, sondern ganze Philosophien wie die von Kant sollten zur Aufführung gebracht werden.

Die Schnittfläche von Realem und Surrealem

Die Überraschungen, die Achternbusch in seinen Texten dem Leser bietet, bestehen oft in der exakten Darstellung der Schnittfläche von Realem und Surrealem. Überraschend ist allerdings auch, dass er in diesem Band den Leser ganz nahe an seine persönliche Geschichte heranführt: an die frühe Kindheit, an Achternbuschs Mutter, die wenig über die Nazis nachdachte, und die der Judenvernichtung teilnahmslos gegenüberstand.

Der Vater als Dionysos

Bei Achternbusch wird das Persönliche politisch und dies eben auf einem autobiografischen Hintergrund, etwa wenn Achternbuschs Vater als Dionysos auftritt. Dabei nähert sich Achternbusch oftmals dem schwarzen Humor an, vorsichtig und in Andeutungen, ganz anders als der schwarze Humor in Wien gepflegt wird.

"Ich mag gern, dass man das so formuliert, dass man gar nicht merkt, wo das hinwill, also nicht schlagartig erkennbar ist. Bei mir ist das Hinterfotzige, das meist so langsam... das geht ja ins Schwarze."

Herbert Achternbuschs Gedankenwelt bleibt in Fluss, und damit sicherlich auch sein Gesamtkunstwerk.

Buch-Tipp
Herbert Achternbusch, "Gesamtausgabe, Band 3", Bibliothek der Provinz