Eine Rede für André Heller von Alfred Gusenbauer

Genauigkeit und Seele

"André Hellers Kunst war nie eine der Ausgrenzung, sondern des Einschlusses" meinte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer in seiner Rede für André Heller.

Sehr geehrte Damen und Herren!
Lieber André!

Ein Mann, dessen Todestag sich im Herbst zum 40. Mal jährt, hat einmal einen großen Satz formuliert: "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche."

Sie erinnern sich sicher noch: Es war Ernesto Che Guevara de la Serna. Und wenn den archetypischen Revolutionär des 20. Jahrhunderts auch sonst vielleicht nicht viel mit André Heller verbindet, so doch der Wunsch, sich nicht der normativen Kraft des Faktischen zu unterwerfen; die Dinge nicht einfach hinzunehmen, wie sie von sichtbaren oder unsichtbaren Mächten vorgegeben werden, und sich widerstandslos ins Räderwerk des Weltgeschehens einzugliedern. Che Guevara hat zur Waffe gegriffen, um seine politischen Ideale zu verwirklichen, André Heller entschied sich für eine weniger bedrohliche Vorgangsweise: Seine Waffe ist die Kunst.

In einer Zeit, die Effizienz, Rationalität und Mäßigung zu Kardinaltugenden erhebt, ist Heller die personifizierte Antithese: Er bekennt sich zum Unmäßigen, ja zur Verschwendung. Er schließt das Irrationale nicht aus seiner Kunst aus, sondern räumt ihm im Gegenteil das Recht ein, seine Kräfte des Wunderbaren und der magischen Verzauberung wie Schmetterlingsflügel zu entfalten, um darauf in Gegenwelten der Fantasie und der Halluzination zu entschweben.

André Heller ist ein Träumer und zwar durchaus im Bewusstsein, dass in seiner Geburtsstadt Wien Sigmund Freud gewirkt hat. Es geht ihm darum, Spuren des Unbewussten und des halb Vergessenen in ästhetische Projekte zu übersetzen. Er will das, was nicht gesagt werden darf, hörbar machen und jenen standardisierten Klischeebildern in hoher Auflösung, die Tag für Tag über uns hereinprasseln, die Kraft des Visionären entgegensetzen. "Die wahren Abenteuer sind im Kopf, und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo" - so hat er es selbst unübertrefflich formuliert. Mit einem Wort, André Heller möchte jenen gesellschaftlichen Status, den der Philosoph Toni Negri einmal als das "schändlich Unwelthafte" bezeichnet hat, ad absurdum führen und stattdessen eine Kunst der Welthaltigkeit setzen, die nicht nur die Seele entflammen und den Geist verzaubern soll, sondern auch der Unzulänglichkeit des Allzumenschlichen Wege aus der Sackgasse weisen möchte.

Das ist ein bisschen viel für einen Einzelnen, auch wenn er ein rastloser Arbeiter und ein unermüdlicher Archäologe im Bergwerk der Ideen ist. Aber wie gesagt: Es geht darum, das Unmögliche zu versuchen und oft genug ist es André Heller gelungen, mit seinem poetischen Schmetterlingsnetz Zukunftsideen aus dem Äther zu fischen, das Noch-Nie-Gesehene in Bilder von bewusstseinssprengender Kraft zu verwandeln und in seiner Kunst ein Prinzip Hoffnung zu formulieren, das, über den Pragmatismus des politischen Tagesgeschäfts hinaus, Horizonte verschiebt und existenzielle Möglichkeiten ahnen lässt, die oft von den Paragrafen und Verbotsschildern der schönen, neuen Konsumentenwelt verstellt werden. Jene künstlichen Paradiese, von denen Charles Baudelaire im 19. Jahrhundert gesprochen hat: André Heller hat sie als Gegenentwurf zur Banalität der alltäglichen Lebensabwicklung geschaffen. Manchmal aber sind seine Träume auch zerschellt, meist an so genannten Sachzwängen, gegen die auch Willensstärke und visionäre Leidenschaft nichts auszurichten vermögen. Zuletzt bei der Fußball-WM, als die FIFA dem unablässig produzierenden Erfindergeist André Hellers Kalkulationen, Vorbehalte und ein gerüttelt Maß an Kleingeist entgegenstellte und schließlich die Gala, die er ausrichten hätte sollen, einfach platzen ließ - der Rasen des Stadions, er hätte Schaden nehmen können. Da verwandelte sich der Überflieger kurz in einen Ikarus, dem die Schwingen des Begehrens wegschmolzen. Doch mittlerweile sind ihm längst neue Flügel gewachsen, und er kann sich mit jenem Satz von Peter Altenberg trösten, mit dem André Heller früher oft seine Konzerte beendet hat: "Gott denkt in den Genies, träumt in den Dichtern und schläft in den übrigen Menschen."

Wenn es nicht ein klinischer Begriff wäre, könnte man André Heller als multiple Persönlichkeit bezeichnen: Fast jeder kennt seinen Namen, doch viele verirren sich im Labyrinth der unterschiedlichen poetischen Versuchsanordnungen und künstlerischen Glasperlenspiele, die er, zur Freude seines Publikums, immer wieder neu arrangiert.

In einer Epoche, die Künstler im Sinne der Vermarktung gerne in Schubladen packt, ist Heller eine wandelnde Provokation: In den vierzig Jahren, in denen er vor den staunenden Augen und Ohren der Weltöffentlichkeit immer wieder neue Kaninchen aus dem Zylinder zieht und Körper und Seele - besser gesagt: Body and Soul - mit Bildern, Tönen und neobarocken Feuerwerkspektakeln versöhnt, war er Schauspieler, Radiomoderator, Regisseur, Schriftsteller, Chansonnier, bildender Künstler, Gärtner und begnadeter Ideenhändler. Ein Talent, das sich nie auf einen Stil, ein Genre, eine Kunstgattung festlegen ließ, sondern stets einen ästhetischen Ort suchte, an dem seine gedanklichen Konvulsionen sich als Lieder, Texte, Theaterstücke, Lichtspektakel und Multimediainstallationen zur Welt bringen ließen.

Dass Heller damit meist Erfolg hatte, dass er ein Millionenpublikum mit der magischen Kraft eines Schlangenbeschwörers betören kann, macht ihn natürlich verdächtig. Vor allem bei Kulturverwesern und Kunstbürokraten, die in den Medien ihres Scharfrichteramtes walten und "Haltet den Dieb!" schreien, wenn er wieder einmal ihre Klientel an Orte des Staunens und der produktiven Verwirrung entführt.

André Heller hat nie das Avantgardespiel mitgespielt, das so lange auf den feinen Unterschieden beharrte, bis am Ende alles eins wurde: grau, abweisend und hermetisch versiegelt. Ein Rätselspiel für die besseren Stände, die all ihre Gymnasialbildung aufbieten, um die Geheimcodes der Kunst aus der Eiswüste der Abstraktion zu knacken.

Er hat in den siebziger Jahren den Circus Roncalli gegründet - eine Manifestation des Poetischen in Körpern, Sensationen und surrealen Bilderkatarakten. Und etwas von einem Zirkusdirektor ist ihm bis heute geblieben. André Hellers Kunst war nie eine der Ausgrenzung, sondern des Einschlusses. Bei ihm heißt es: Hereinspaziert! Besuchen Sie seine Schule des Sehens, des Hörens, des Staunens. Lassen Sie sich verzaubern von den Dingen, die der neoliberale Weltgeist beiseite schiebt oder in den Nebenhöhlen des Vergessens endlagert. Heller hat nie die Hoffnung aufgegeben, dass sich in der Welt hinter all den trügerischen Verheißungen der Warenwelt und den Illusionen von einem richtigen Leben im Falschen ein Garten Eden verbirgt. Und mit unermüdlichem Eifer bewässert er dort die tausend Blumen, die sich nach seinem Willen zu Ornamenten der fantastischen Übertreibung ordnen sollen.

André Hellers Kunst ist zutiefst demokratisch: Sie pfeift auf elitäre Abgrenzung und auf bildungsbürgerliches Besserwissertum und schafft es gerade in ihrem Beharren auf den künstlerischen Ausnahmezustand, Perspektiven für das Allgemeine zu entwickeln. Es gibt einen Satz von Oscar Wilde, der so klingt, als habe der Dichter schon im 19. Jahrhundert geahnt, dass hundert Jahre später einer kommen würde, der Ernst macht mit der Heiterkeit, der dem Unnützen einen Platz gibt in einer Welt, die unter der Bürde einer gnadenlosen Effektivität ächzt. "Das Durchschnittliche", schreibt Wilde, "gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert."

Lassen Sie mich noch mit einer persönlichen Note schließen. Es gibt den Weltkünstler Heller und den Menschen André. Es ist vor allem Letzterer, der mir seit vielen Jahren ein Freund und Berater gewesen ist.

Trotzdem glaube ich, dass zwischen André Heller und mir eine Beziehung gewachsen ist, die weit über eine ritualisierte Begegnung von Kunst und Politik hinausreicht. Ich bin ihm dankbar für die vielen Ideen, die er mir geschenkt hat, für die anregenden Debatten, die ich mit ihm führen durfte, und für seinen messerscharfen, analytischen Verstand, der durch die Maskeraden der Oberfläche hindurch schnell zum Wesen der Dinge vorstößt.

Lieber André, ich weiß, dass du nichts mehr verabscheust als Ehrungen, Gloriolen, verliehene Lorbeerkränze. Trotzdem möchte ich es heute wagen, dir einen Titel zu verleihen. Und zwar frei nach Robert Musil, der im "Mann ohne Eigenschaften" ein Kapitel "Die beiden Bäume des Lebens und die Forderung eines Generalsekretariats der Genauigkeit und Seele" genannt hat. Hiermit möchte ich dich also zum "Generalsekretär für Genauigkeit und Seele" ernennen - selbstverständlich honoris causa und ohne Dienstverpflichtung.

Lieber André, ich wünsche mir, dass du noch viele Jahre deine Fähigkeit zum Querdenkertum und deine Lust am Stören der Friedhofsruhe in den Dienst der Zivilgesellschaft stellen wirst.

Herzliche Glückwünsche zu deinem Geburtstag und: Ad multos annos, amigo!

Hör-Tipp
Konzert für mich, Donnerstag, 7. Juni, 19:30 Uhr

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André Heller