Computerspiele und TV machen klüger

Die neue Intelligenz

Computerspiele lösen Gewalttaten aus und machen dumm. Diesem Vorurteil hat Steven Johnson einiges entgegenzusetzen. Daher trägt sein Buch den Originaltitel "Everything bad is good for you". Unter "Die neue Intelligenz" ist auf Deutsch erschienen.

Fernsehen, Internet und Computerspiele sind nicht ausschließlich verblödend. Im Gegenteil, findet Steven Johnson, der 1996 von Newsweek zu den wichtigsten Personen des Cyberspace gezählt wurde, sie können den Intellekt fordern. Fernsehserien wie etwa "West Wing" oder "Die Sopranos" seien mit ihren verwobenen, multiplen Handlungsstränge und ihrer differenzierten Charakterentwicklung den ehemaligen Hits wie "Dallas" und "Dynasty" weit überlegen. Eine ähnliche Entwicklung sei bei den Computerspielen zu beobachten.

"'Civilization 4' ist ein gutes Beispiel", meint Johnson. "Es ist eines der Top-3-Computerspiele. Dabei erfindet man die ganze Wirtschaftsgeschichte der Menschheit neu. Man muss an so vieles gleichzeitig denken! Aber 12-Jährige spielen es zum Spaß."

Kinder sind in vielem Erwachsenen überlegen

Dass man aus der modernen Popkultur etwas lerne, sei daran zu erkennen, dass es eine ganze Reihe von Fähigkeiten gibt, bei denen Kinder den Erwachsenen überlegen sind. Ein einfaches Beispiel: 7-Jährige, so Steven Johnson, vereinen mit wenigen Tastenklicks die Funktionen von drei Fernbedienungen in einer.

Der Autor merkt an seinem eigenen, vier Jahre alten Sohn, wie selbstverständlich er mit Computern umgeht. "Dabei kann er noch nicht einmal lesen, und loggt sich schon jetzt in sein Unix-Konto ein!", erzählt Johnson. "Das wird für ihn immer selbstverständlicher sein als gedruckte Worte auf einer Seite zu lesen."

Ältere, spielerfahrene Kinder haben eine ganze Reihe von Fähigkeiten, die - so Steven Johnson - sie weder in einem Buch und schon gar nicht passiv vor dem Fernseher sitzend hätten entwickeln können. "Sie haben visuelle Intelligenz", meint Johnson. "Sie sind gut im Erkennen von Mustern und Regeln. Und sie kommen sehr schnell drauf, welche Regeln das sind. Das ist eine wichtige Fähigkeit beim Spielen, aber auch im Verständnis von Software. Und noch etwas, das zum Gaming gehört, können sie gut: verschiedene Ziele zu jonglieren und dabei Prioritäten zu setzen."

Networking per Internet

Wissenschaftlich betrachtet gibt es - zumindest vorläufig noch - mehr Studien, die nach negativen Auswirkungen von Spielen, Fernsehen und Internet als nach den positiven forschen. In einem jüngsten Experiment kam Folgendes heraus. Leute, die häufig spielen, seien geistig flexibel, so Johnson. "Sie können schnell den Fokus zwischen zwei verschiedenen Dingen wechseln. Das ist eine Fähigkeit, die man sonst überwiegend bei Leuten feststellt, die zwei Sprachen fließend beherrschen."

Auch beim Internet plädiert Steven Johnson für eine differenziertere Sichtweise. Wenn Kinder und Jugendliche den Kontakt mit vielen Altersgenossen an virtuellen Treffpunkten pflegen, dann könnten ihnen daraus später berufliche Vorteile erwachsen. "Soziologisch betrachtet handelt es sich hier um keine starken, sondern um schwache Bindungen", erklärt Johnson. "Wie man weiß, haben beruflich erfolgreiche Menschen ein großes Netzwerk mit solchen schwachen Beziehungen. Kinder sind sehr geschickt, mit Hilfe der Technologie solche großen Netzwerke zu schaffen."

Jedem sein eigenes Programm

Selbst ein Verteidiger der Populärkultur wie Steven Johnson räumt jedoch ein, dass persönlicher Kontakt unverzichtbar sei. Sich lieber in virtuellen als in ganz gewöhnlichen dreidimensionalen Räumen aufzuhalten, habe seinen Preis: "Es gibt den Witz, dass wir nicht eine Generationen von Faulpelzen und Idioten, sondern eine Generationen von Leuten wie Bill Gates großziehen", erzählt Johnson. "Sie sind intelligent, gut im Umgang mit Computern, bereit, mit neuen Technologien zu experimentieren, aber vermutlich sind sie nicht die Menschen, an deren Schulter man sich ausweint, wenn man in einer Krise steckt."

Jüngste Entwicklungen geben Johnson Hoffnung. Es zeichnet sich der Trend ab, dass Gleichgesinnte einander zwar übers Internet finden, doch dann entsteht aus dem virtuellen ein realer Kontakt. Auch auf dem Unterhaltungssektor ortet Steven Johnson mehr aktives als passives Verhalten.

"Der erstaunlichste Trend der letzten zehn Jahre ist, dass Konsumenten sich selber ihre Medien schaffen. Leute kreieren ihre eigenen Websites, Radiosendungen, TV-Shows, Videos, Musik, und teilen diese mit anderen. Das heißt, die heute 10- bis 20-Jährigen wachsen mit dem Bewusstsein auf, dass man sich ein Programm selber schafft, anstatt es passiv zu konsumieren. Und bei diesem Trend stehen wir noch ganz am Anfang."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Steven Johnson, "Die neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden", aus dem Englischen übersetzt von Violetta Topalova, Kiepenheuer & Witsch Verlag, ISBN 978-3462036633