Aktive Diskriminierung

Frauen und freie Software

Freie und Open-Source-Software verspricht, Barrieren im Zugang zu Technologie zu senken. Hürden gibt es aber auch im Zugang zur Entwicklung freier Software. Dort ist der Frauenanteil noch weit geringer als in der kommerziellen Softwareproduktion.

Im Jahr 2006 erschien an der Cambridge University eine Studie zum Thema Gender/Geschlecht und Freie und Open-Source-Software, laut der weniger als 1,5 Prozent der Open-Source-Entwickler und -Entwicklerinnen Frauen sind. In der Welt der kommerziellen Software ist der Frauenanteil zwar auch gering, liegt aber immerhin bei knapp unter 30 Prozent.

Eine große Überraschung

Die Studie rüttelte die Szene auf. Lange hatte man geglaubt, dass die Bewegung für freie und Open-Source-Software für Offenheit, Freiheit und eine alternative Sichtweise auf die Informationstechnologie und vielleicht auch das Leben steht. Die auf Konsensus und Meritokratie basierenden Entscheidungsmechanismen sollten, so eine verbreitete Annahme, dafür sorgen, dass nicht diskriminiert wird. In der Netzkultur zähe nur, was jemand zu sagen hat, nicht Alter, Geschlecht, Ethnizität oder Nationalität. Die Studie zeigte, dass dem leider nicht so ist.

Mann könnte nun einwenden, Frau würden sich vielleicht weniger für Software interessieren. Doch der akademische Bereich der Gender-Studies hat einwandfrei belegt, dass es sich bei solchen Aussagen um Vorurteile handelt. Ein größeres oder geringeres Interesse für Technik oder Talent für Mathematik gibt es nicht "von Natur aus". Hierbei handelt es sich um kulturelle Faktoren und nicht um Erbanlagen. In Malaysia zum Beispiel liegt der Frauenanteil in der Softwarebranche bei mehr als 60 Prozent.

Unbewusste Ausschlussmechanismen

Laut der Cambridge-Studie werden Frauen aktiv ausgeschlossen, anstatt einfach nur passiv desinteressiert zu sein. Die Gründe für die Ausschließung lägen vor allem in den kulturellen und sozialen Dynamiken der FLOSS-Communities, schreiben die Autoren der Studie. Paradoxerweise ist es gerade die in FLOSS-Communities kultivierte Hacker-Ethik, die zu den stärksten Ausschlussgründen zählt. Mann sieht sich selbst als außerhalb des gesellschaftlichen Mainstreams positioniert und glaubt sich frei von Sexismen.

Die Ausschlussmechanismen schleichen sich oft unbewusst ein. Wenn Frauen in einschlägigen Foren technische Fragen stellen, werden diese in einem gönnerhaften und herablassenden Ton beantwortet anstatt mit der neutralen Coolness, die gegenüber Männern an den Tag gelegt wird.

Ghettobildung

Die Szene möchte diese Vorwürfe nicht auf sich sitzen lassen. Keines der großen Linuxprojekte, ob Apache, Debian, Ubuntu, kommt mehr ohne eigene Frauenforen und Mailinglisten aus. Doch auch hier gibt es Bedenken, dass die Frauen in ein Ghetto abgeschoben werden.

Debian-Women genießt besonderes Ansehen, weil hier auch Männer mitmachen dürfen, solange sie das gemeinsame Ziel mittragen, dass es im Debian-Projekt mehr Frauen geben soll. Gerade die egalitären und meritokratischen Prinzipien der Open-Source-Bewegung sollten eine Ghettobildung vermeiden und die gemeinsamen Ideale betonen, anstatt das Trennende.

Programmieren Hackerinnen im Verborgenen?

Neben sexistischen Verhaltensweisen in männerdominierten Foren und Mailinglisten sind es kulturelle Prägungen und wirtschaftliche Nachteile, die es Frauen erschweren, sich bei Hacker-Communities einzubringen. Frauen kommen durchschnittlich später zu eigenen Computern als Männer. Und der eigene PC ist Voraussetzung, um es zu einer gewissen Virtuosität zu bringen, meint die Informatikerin und Künstlerin Eva Trischak. Als HAK-Schülerin und später an der Uni im Bereich Wirtschaftsinformatik erlebte sie, was es heißt, eine von wenigen Frauen zu sein.

In der "freien Wildbahn" und unter Künstlerkollegen fand sie schließlich freundliche Unterstützung und meisterte Linux. Auch die Leiterin von Servus.at und Organisatorin der Linzer Linuxtage, Uschi Reiter, findet an Linux und allgemein freier Software toll, dass es viele Dokumentationen gibt und sich immer hilfsbereite Leute finden.

Vielleicht ist es also gar nicht so schlecht bestellt um die Präsenz der Frauen in der freien Software-Szene. Frauen sind in Bereichen, die als Männerdomänen gelten, einfach oft weniger sichtbar. So manche Hackerin programmiert im Verborgenen, ohne sich als "Häckse", wie sich die Damen vom CCC früher nannten, zu outen. In einigen Jahren könnte man durchaus feststellen, dass es viel mehr programmierende Frauen gibt als derzeit angenommen.

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 20. Juli 2008, 22:30 Uhr

Links
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