Für die Zensur zu "unmoralisch"

Amir Hassan Cheheltan

Amir Hassan Cheheltan ist ein feinsinniger Beobachter des Lebens im Iran. Seine Bücher wurden schon in zahlreiche Sprachen übersetzt, für die Veröffentlichung seiner Werke auf Deutsch hat sich noch kein Verleger gefunden. Ein Porträt des Schriftstellers.

Kindheit und Jugend von Amir Hassan Cheheltan verlaufen unspektakulär. Seine Mutter nimmt ihn gelegentlich mit ins Kino, was den etwa 12-Jährigen dazu inspiriert, selbst mit dem Schreiben zu beginnen. Er stattet die Hauptdarsteller der Filme mit anderen Eigenschaften aus und versetzt sie in eine neue Umgebung.

Sein erster Erzählband "Ehefrau auf Zeit" erscheint 1976, Cheheltan ist damals 25. Mit seinem zweiten Erzählband "Am stummen Fenster", gelingt ihm 1979 der schriftstellerische Durchbruch. Wenige Monate wird das Leben im Iran und besonders in Teheran durch die Islamische Revolution durcheinander gewirbelt.

Beim Ausbruch der Revolution wurde dörflichen islamischen Rechtsgelehrten die Verwaltung einer Stadt (Anm.: Teheran) übertragen, die Bordelle, Kinos, Theater, Kabaretts, Schnapsläden, Universitäten und Buchhandlungen besaß. Die Prostituierten verlegten ihre Arbeitsplätze an die Ränder der Straßen und die Schauspieler eröffneten Kebab-Restaurants.

Die vielen Spielarten der Zensur

Cheheltans erster Roman, während des Golfkriegs geschrieben, wird ohne Angabe von Gründen verboten und erscheint erst nach 20 Jahren. Bis heute ist Cheheltan der Willkür der Zensurbehörden ausgeliefert. "Manchmal halten sie meine Texte für unmoralisch oder zu erotisch", erzählt Cheheltan. "Wenn ich die Autoritäten kritisiere, meldet sich die politische Zensur. Und gegen die Religion darf ich auch nichts sagen. Die Zensur im Iran kennt viele Spielarten."

Anfang 2007 veröffentlicht Cheheltan in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" einen Artikel über die Arbeit der iranischen Zensurbehörden.

Die betreffenden Dokumente sind ebenso erschütternd wie lehrreich. Sie zeigen, wie die Beamten dieses Ministeriums Fotos von Mahatma Gandhi, auf denen er nur mit einem Lendenschurz bekleidet war, als Beispiel für die Verbreitung der Nacktheitskultur aus den Büchern verbannt hatten. Dasselbe galt für die Darstellungen Christi am Kreuz. Zwei Drittel der persischen Erzählbände und Romane fielen der Zensur anheim; in einer Erzählung erfolgte das Verbot aufgrund des Wortes "Brust" in dem Ausdruck "Brustkrebs". Im Iran ist ein Buch ein gefährlicher Gegenstand.

Flucht nach Europa

1997 wird der Liberale Mohammad Chatami zum Präsidenten gewählt und viele Iraner hoffen auf Reformen. Doch die Konservativen fühlen sich bedroht und leiten Gegenmaßnahmen ein. Ihre ersten Opfer sind Oppositionelle und Intellektuelle. Im Winter 1998 werden innerhalb weniger Wochen zahlreiche Schriftsteller entführt oder ermordet.

Amir Hassan Cheheltan, der sich seit 1977 aktiv im iranischen Schriftstellerverband engagiert und nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg hält, wird von Kollegen gewarnt, sein Haus zu verlassen. Er lässt sich beurlauben und verbarrikadiert sich in seiner Wohnung, bis es ihm nach einigen Monaten gelingt, mit Hilfe eines Stipendiums des internationalen Schriftstellerverbandes das Land zu verlassen. Gemeinsam mit seiner Frau, einer Zahnärztin, und seinem Sohn zieht er für zwei Jahre nach Europa.

Nach seiner Rückkehr kann er nicht mehr an seinen alten Arbeitsplatz zurück. Er widmet sich von nun an ganz der Schriftstellerei und unterrichtet kreatives Schreiben. "Im Vergleich zu Europa liest man im Iran weniger und die Bücher haben sehr kleine Auflagen. Dennoch spüre ich bei der jungen Generation großes Interesse für Literatur", sagt er.

Zwielichtiger Held

Mit sieben Romanen, fünf Bänden mit Kurzgeschichten und einem Drehbuch gilt Amir Hassan Cheheltan als einer der produktivsten iranischen Schriftsteller. In seinem jüngsten, noch unveröffentlichten Roman "Die Sitten der Menschen der Revolutionsstraße" - das Zitat wurde von Susanne Baghestani übersetzt - zeigt er, wie die Bewohner seiner Heimatstadt Teheran zwischen Tradition und Moderne hin- und her schlingern. Der Held, Fattah, ist ein zwielichtiger Hymenoplastiker, also ein Arzt, der junge Frauen, die schon gewisse Erfahrungen gemacht haben, vor ihrer Hochzeit mit Nadel und Faden wieder in den Zustand der Jungfräulichkeit versetzt und somit die Ehre der Familie rettet.

Fattah beugte den Kopf, legte die Hände auf die Schenkel des Mädchens und spreizte sie. Er schob den Kopf noch weiter vor, streckte dabei eine Hand zur Krankenschwester aus und befahl, "Taschenlampe!".
Fattah deutete zwischen die Beine des Mädchens und sagte, "Siehst du!... Diese Huren!" (...)
Das Mädchen presste die Zähne auf die Unterlippe und jaulte vor Schmerz auf. Ihre Stirn war scheißüberströmt.
Fattah spreizte die Hände, "So ist es nun mal...! Außerdem, hast du denn damals keine Schmerzen gehabt, als...."
Dann blickte er zur Zimmerdecke und bat um Vergebung. Sein Blick kehrte mitleidig zurück zum Mädchen, aber in diesem Mitleid lag ein heimliches Vergnügen.

Die Widersprüchlichkeiten des iranischen Lebens

Cheheltan zeichnet seine Romanfiguren mit einer Mischung aus Ironie, die die Widersprüchlichkeiten des iranischen Lebens bloßlegt, und Mitgefühl für ihre menschlichen Schwächen. Die Arbeit des Hymenoplastikers Fattah ist symptomatisch für die iranische Gesellschaft, in der die verordneten Werte sich immer mehr von den inneren Wertvorstellungen der Menschen entfernen.

"Die Psychologie sagt uns, dass jeder normale Mensch ein zweifaches Leben führt", meint Cheheltan, "ein inneres Leben und ein äußeres. Im Iran führt man sein inneres Leben, doch das äußere Leben hat zwei Formen. Zum einen der Umgang mit Verwandten und Freunden, zum anderen, wie man sich in der Öffentlichkeit, auf der Straße, verhält. Im Iran müssen wir ein dreifaches Leben führen."

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 1. September 2007, 17:05 Uhr

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