Literatur als Podcast

8. April 2017, 21:58

Leporello zum Thema Podcast-Literatur

Die Popmusik hat es vorgemacht: Bands wie die Arctic Monkeys haben per Internet Millionen Fans mit ihrer Musik erreicht, bevor sie überhaupt einen Plattenvertrag hatten. Das könnte womöglich auch mit Literatur funktionieren, dachte sich der Hamburger Autor Tim Cortinovis. Er besorgte sich ein Mikrofon und eine Soundkarte für seinen Computer und stellte seinen Debütroman als Serie von Audiodateien ins Netz.

"Herzfassen" - ein Roman für die Ohren

Literatur zum Hören boomt. Ob im Auto, im mobilen Mp3-Player oder zuhause. Hörbücher kann man in großer Auswahl kaufen, oder als Podcast aus dem Internet herunterladen. Erstaunlich, dass erst wenige Nachwuchsautoren auf die Idee gekommen sind, ihre Romane auf diese Weise zu veröffentlichen. Der Hamburger Tim Cortinovis ist einer der ersten. Sein Debüt "Herzfassen" hat er in 42 wöchentlich erscheinenden Folgen ins Netz gestellt:

"Das Medium lebt dadurch, dass es eine Fortsetzungsfolge ist und das macht sich auch inhaltlich stark bemerkbar", sagt Cortinovis. "Ich habe einfach versucht bei jeder Folge eine Cliffhanger einzubauen, um den Anreiz zu schaffen, dass die Leute die nächste Folge auch hören."

Der 35-jährige Tim Cortinovis trägt Jeans, ein schwarzes T-Shirt und am linken Arm eine auffällige silberne Rolex. Ein Erbstück vom Großvater wie er sich zu betonen beeilt. Und auch die Geschichte von "Herzfassen", die in Spanien unter der Franco-Diktatur spielt, ist gewissermaßen ein Erbstück. Die Geschichte baut auf einer wahren Lebensgeschichte eines spanischen Freundes des Autors auf. Dieser war zwanzig Jahre alt, als Franco im Jahre 1975 gestorben ist. Vieles von dem, was dieser Freund erlebt hat, kommt im Roman vor, so Cortinovis.

Im Roman heißt dieser Freund Paco. Er ist ein ängstlicher junger Mann, der sich aus Liebe ein Herz fasst und eine Widerstandskämpferin aus dem Gefängnis befreit. Cortinovis’ ungeschulte Stimme und die etwas mangelhafte Tonqualität stören bei der Erzählung nicht. Sie geben dem Podcast-Vortrag eher noch einen authentischen Anstrich.

Podcast bei Verlagen umstritten
Bis zu 4.000 Internetuser wollten laut Cortinovis jede Woche wissen, wie die Geschichte weitergeht. "Herzfassen" hat via Podcast sein Publikum gefunden. Natürlich möchte der Autor sein Buch bald veröffentlicht sehen.

Das glaubte auch der Münchner Alexander Broy von seinem Science-Fiction-Roman "Die Urlauber". Nach 30 Absagen hat er ihn als Podcast unter der ironischen Adresse schundroman.de ins Netz gestellt. Doch der Erfolg seines Podcasts half ihm bei den Verlagen nicht weiter. Erst als er das Buch selbst herausgeben wollte, fand er durch Zufall einen Kleinverlag.

Thomas Überhoff, Cheflektor des Rowohlt- Verlags, räumt ein, dass erfolgreiche Literatur-Podcasts für Aufmerksamkeit sorgen können und von einer gewissen Originalität zeugen können, jedoch nicht viel mehr. Das alleinige Kriterium solle jedoch die Qualität sein, so Thomas Überhoff.

Der Schlechte Ruf des Internet
Bei der Suche nach neuen Stimmen in der Literaturszene spielt das Internet kaum eine Rolle. Für die Talentscouts zählt der geschriebene Text, und da ist die Menge im Netz einfach unüberschaubar, die Qualität meist zu schlecht. Anspruchsvolle Autoren und Autorinnen veröffentlichen selten im Internet, weil sie fürchten, dadurch ihrem Ruf zu schaden. Auch Tim Cortinovis hat seinen Text bewusst nicht ins Netz gestellt.

Was die Veröffentlichung seines Romans angeht, ist er zuversichtlich. Und auch schon mit seinem Podcast sieht er sich in guter literarischer Tradition. Denn selbst Autoren wie Charles Dickens haben ein paar ihrer Werke in Zeitungen via Fortsetzungsfolgen veröffentlicht.

Text: Dirk Schneider, Textbearbeitung: Elisabeth Kolb