Toscanini und die Wiener Philharmoniker

Dirigieren gegen Hitler

Die Salzburger Festspiele stellten nach 1933 ein Refugium antinationalsozialistischen Kulturprotestes dar. Eine zentrale Rolle dabei nahm Arturo Toscanini ein, der zu seiner Zeit gut und gerne als der bekannteste Dirigent der Welt bezeichnet werden konnte.

Erst nach vier international verlaufenen Karrierejahrzehnten stand Arturo Toscanini im Mai 1929 anlässlich eines Scala-Gastspiels erstmals in Wien, in der Staatsoper, am Pult, dirigierte aber sein Mailänder Orchester. 1930 folgten noch zwei Konzertgastspiele mit "seinen" New Yorker Philharmonikern - ebenfalls im Haus am Ring.

Erst dann - nach dreieinhalb Jahren weiterer Österreich-Absenz begann er im Oktober 1933 bis Oktober 1937 jene sensationelle, vierjährige, verblüffend intensive künstlerische Tätigkeit in Österreich, die insgesamt 80 Auftritte (sieben Gastspiele in Prag und Budapest eingeschlossen) umfasste. Verblüffend allerdings nur, so lange man darin künstlerische Absichten allein vermutet und das politische Umfeld nicht beachtet.

Salzburger Widerstand

Internationale Beachtung fand ab 1933, dass die Salzburger Festspiele bald eine Art von Refugium antinationalsozialistischen Kulturprotestes darstellten. Die wirtschaftliche Situation entwickelte sich allerdings katastrophal.

1933 war der Besuch auf dem absoluten Tiefpunkt angelangt: nur etwa 45 Prozent der Karten konnten verkauft werden. Das scheint ein erstaunlich, kam aber nicht ganz unerwartet. Denn seit dem 1. Juni 1933 war die "Tausend-Marke-Sperre" in Kraft, die uns später zwar eine außerordentlich charmante Erzählung Erich Kästners beschert hat, der Festspieldirektion aber eine beträchtliche Einbuße: Der Kartenverkauf ging im Sommer 1933 um ca. 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück!

Doch 1934 ging es wieder aufwärts. Trotz des Juli-Putsches, des Dollfuß-Mordes, der erzwungenen Absagen von Strauss und Furtwängler und der anhaltenden Tausend-Mark-Sperre konnte.1934 eine kleine Steigerung des Kartenverkaufes erzielt werden.

Denn der berühmteste Dirigent der Welt (als solcher konnte Toscanini damals bereist etikettiert werden) ist in diesem Jahr erstmals in Salzburg aufgetreten, allerdings nur in drei Konzerten - noch nicht als Operndirigent.

Pulikumsmagnet Toscanini
Als Toscanini im Sommer 1935 begann, an der Salzach auch Opern zu dirigieren - zunächst waren es zwei, "Falstaff" und "Fidelio" - stellte sich das internationale Publikum scharenweise wieder ein. Doch was heißt hier wieder?

Seit 1927 war die Auslastung nur ein einziges Mal ein wenig höher als 70 Prozent gewesen: im Jahre 1930. Und jetzt - 1935 - im ersten Opernjahr Toscaninis, kletterte diese Statistik auf 85 Prozent Und das bei anhaltender Tausend-Mark-Sperre! Deren Bedeutung für den österreichischen Fremdenverkehr kann man vielleicht ermessen, wenn man bedenkt, dass 1932 der Anteil der deutschen Staatsbürger am österreichischen Tourismus 40 Prozent betrug.

Für Salzburg sah der Rückgang des Besucheranteils aus Deutschland von 1932 zu 1933 spektakulär aus: Von 12.983 auf 796 Besucher..

Da zwei der für 1938 geplanten Mozart-Produktionen von den neuen Machthabern gestrichen wurden, standen diesmal, das erste und einzige Mal im Festspielrepertoire von Mozarts Geburtsstadt nur zwei Mozart-Opern - ebenso vielen Musikdramen Wagners gegenüber.

Und das ist eigentlich von Toscanini verursacht gewesen, der sich nur selten als Mozart-Operndirigent betätigt hat, wohl aber ein leidenschaftlicher Wagnerianer gewesen ist, und sich 1933 nur durch die politische Entwicklung zur Bayreuth-Absage gezwungen sah.

Unterstützung durch die Staatsspitze
Toscanini hatte kein Hehl aus seiner Sympathie für alle pro-jüdischen Aktionen gemacht, und hatte auch schon an entsprechenden Unterschriftsaktionen teilgenommen. Einer der Wortführer solcher Aktionen, auch im bekannten Briefwechsel mit Furtwängler, war der polnische Geiger Bronislaw Huberman.

Von ihm kam die Idee, Toscanini nach Wien einzuladen, sei die exemplarische kulturpolitische Demonstration. Er besprach sie mit seinen Wiener Bekannten, darunter auch mit einem Kabinettsmitglied, unterbreitete sie Toscanini und brachte so eine Aktion in Gang, die eine ungewöhnliche Eigendynamik entwickeln sollte.

Laut Clemens Hellsberg, dem peniblen Chronisten der Wiener Philharmoniker, dirigierte Toscanini in den vier Jahren von 1933 bis 1937 32 Opernaufführungen bei den Salzburger Festspielen und 46 Konzerte (den größeren Teil davon nicht in Salzburg, sondern im Wiener Musikverein), von denen eines in der Wiener Staatsoper stattfand (Verdi-Requiem). Darüber hinaus kam es noch zwei "Fidelio"-Aufführungen im Haus am Ring, woraus sich die Summe von 80 Toscanini-Auftritten mit den Wiener Philharmonikern ergibt.

Das ist für eine künstlerische Aktion, die sich aus einer politischen Demonstrationsabsicht ergab schon eine beachtliche Dimension, die nicht denkbar gewesen wäre, einerseits ohne das gute Arbeitsklima, das sich zwischen dem Dirigenten und dem Wiener Orchester entwickelte, aber auch nicht ohne die äußerste Anstrengung der Salzburger Festspielleitung, die extremsten Wünsche des Maestro zu erfüllen. Die ungewöhnlichen Budgetmittel, die oft dazu notwendig waren, konnten nur auf politischer Ebene ermöglicht werden, ich meine damit besonders das Verständnis von Kurt Schuschnigg für die ungewöhnliche kulturpolitische Propagandawirkung von Toscaninis österreichischen Auftritten.

Enorme Gagen
Wie den Staatsopernakten des Haus- Hof und Staatsarchivs zu entnehmen ist, hat Toscanini auf seine ursprüngliche Forderung (sein normales internationales Honorar - von 10.000 Schilling pro Vorstellung - verzichtet) und sich mit seinem Salzburger Festspielhonorar von.5.000 Schilling begnügt.

Um nun ins rechte Licht zu rücken, wie viel der kulturpolitische Aktivposten der österreichischen Kulturpolitik wert war, will ich kurz einige Vergleichshonorare aus den Staatsopernakten dieser Zeit nennen. Wilhelm Furtwängler erhielt 2.000 Schilling, Bruno Walter ebenfalls.

Als Toscanini, dann mehr als ein Jahr danach im Oktober 1937 Wien verließ - mit dem Plan, seine Salzburger Tätigkeit 1938 auf fünf Opernproduktionen zu steigern, konnte natürlich niemand ahnen, dass er nie mehr an das Pult der Wiener Philharmoniker zurückkommen würde.

Er selbst hielt seine Zusage bis zum 12. Februar 1938, dem Tag des zweiten Schuschnigg-Besuches auf dem Obersalzberg, aufrecht. Erst danach erteilte er Österreich die endgültige Absage und entschied sich für die nächste Demonstration gegen Hitler, indem er zusagte, das erste Konzert des Luzerner Festspielorchesters zu dirigieren.

Hör-Tipp
Österreich 1 extra, Samstag, 8. September 2007, 22:05 Uhr