Neue Kurzgeschichten von Marica Bodrozic

Der Windsammler

Die Kindheitserinnerungen an die karge, sagenumwobene dalmatinische Landschaft prägten Marica Bodrozics bisherige Erzählungen. Und auch in ihrem neuen Band spielen dörfliches Leben, verwunschene Natur und märchenhafte Figuren die Hauptrolle.

Fast traumhaft sind die Erzählungen in Marica Bodrozics neuem Buch "Der Windsammler". Da kehren zwei Frauen auf die Lange Insel zurück und werden von einem Bildinspektor bedrängt, der auf der Suche nach einer Lichtharfe ist. Da freundet sich ein Bub mit einem alten Mann an, der ein merkwürdiges Kästchen besitzt, in dem sich, wie er sagt, sein Leben befindet. Da tötet ein Mann zuerst seinen Esel und dann sich selbst und kehrt anschließend wieder zurück, um mit seiner Schuld fertig zu werden.

Marica Bodrozic lässt ihre Geschichten in einer seltsam irrealen Zwischenwelt spielen, versucht, eine verborgene Wirklichkeit zu erforschen, in der keine physikalischen Gesetze existieren und die doch von der vertrauten Realität nur durch einen dünnen Schleier getrennt ist. "Ich glaube, dass ich da auch sehr tief in meine eigene Bildwelt zurückgegriffen habe, die vielleicht manchmal in so archaische Figuren übergeht, in archetypische Konstellationen, die wir alle kennen, also etwas geschieht und unser Leben verändert sich, wir träumen etwas und der Tag wird anders", meint Bodrozic. "Also die Wirklichkeit zieht sich neue Kleider an, das ist eigentlich das, was mich immer fasziniert, der Wirklichkeit auf die Spur zu kommen."

Spiel mit Fantasie und Wirklichkeit

Diese fast unmerkliche Veränderung der Wirklichkeit, dieses Spiel mit Fantasie und Realität, verleiht den Erzählungen etwas beinahe Schwebendes. Irgendwo zwischen Tag und Traum sind sie alle angesiedelt, und dennoch haben sie mitunter auch eine ganz konkret gesellschaftspolitische Komponente, wie etwa die Titelgeschichte "Der Windsammler". Darin macht sich der Student Oko auf die Suche nach einem schwarzen Lipizzaner, den der Erzengel Raphael gestohlen hat. Oko ruft die Wolken und den Wind, aber die anderen Bewohner der Insel sehen in ihm einen Verrückten und reagieren mit Ablehnung und Aggressivität:

"Das hat eben damit zu tun, dass dieses Andere in diesem Windsammler vorhanden ist", meint Bodrozic, "dass er sich etwas zutraut, was die anderen eigentlich auch wollen, nur macht er es einfach, und die anderen schauen zu und verkehren sozusagen die Wirklichkeit gegen den Windsammler, in dem Moment, wo er nicht mehr in die gesellschaftlichen Definitionen hineinpasst."

Archetypische Parabeln

Geografisch ist Marica Bodrozic in ihren Geschichten in ihr Geburtsland zurückgekehrt. Die 34-jährige Schriftstellerin lebte bis sie zehn Jahre alt war bei ihrem Großvater in einem kleinen Dorf in Dalmatien. Erst dann zog sie zu ihren Eltern, die als Gastarbeiter in Deutschland für das Einkommen der gesamten Familie sorgten.

Ihre Erzählungen sind auf verschiedenen kroatischen Inseln angesiedelt und spielen vor dem Hintergrund der Mythen und der politischen Vergangenheit der Region. Dennoch sind es keine kroatischen Geschichten, viel eher archetypische Parabeln, und Marica Bodrozic hat beim Schreiben nie auf das Kroatische zurückgegriffen, sondern ist in jener Sprache geblieben, die sie als ihre eigentliche Muttersprache betrachtet, das Deutsche.

Die magischen Momente des Lebens

Es sind anmutige und sehr poetische Erzählungen, die Marica Bodrozic geschaffen hat. Erzählungen voller phantastischer Bilder und Wortschöpfungen, die der Realität eine neue Farbe geben - und die ein bisschen auch den Blick der Menschen für die magischen Momente des Lebens schärfen wollen: "Mit magisch meine ich jetzt nicht in so einem abgehobenen zauberischen Sinne, sondern dass das, was wir vielleicht kaltblütig unseren Alltag nennen, eigentlich voller Begebenheiten ist, voller Augenblicke, in denen das Leben nur drei Schritte weiter anders verlaufen kann", so Bodrozic.

"Der Windsammler" ist ein außergewöhnliches Buch, das Grenzen sprengt und mit der Sprache spielt, das berührt und verführt – und das auch für die Autorin selbst eine ganz besondere Bedeutung hat: "Ich habe das Gefühl, ich habe sehr viel gelernt über die Wirklichkeit, über die innere und die äußere Wirklichkeit, und vor allen Dingen ist dadurch für mich ein neuer Raum frei geworden, ein Schreibraum, in dem sich auch ein ganz neues Echo einnisten kann, ja, wo ganz andere Geschichten auch möglich werden."

"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.

Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 12. Oktober 2007, 16:30 Uhr

Ex libris, Sonntag, 14. Oktober 2007, 18:15 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Marica Bodrozic, "Der Windsammler”, Suhrkamp Verlag

Link
Suhrkamp Verlag