Romantik ist überall

Das gute Leben

Mitte der 1980er Jahre galt Jay McInerney als einer der angesagtesten Autoren Amerikas. Dieser Ruhm verblasste in den 1990ern. Mit "Das gute Leben" hat McInerney nun einen 9/11-Roman vorgelegt, in dem er am Heldenimage der Helfer gehörig kratzt.

Mitte der 1980er Jahre galt Jay McInerney als einer der angesagtesten Autoren Amerikas, galt doch sein Erstling "Bright Lights Big City", der das New Yorker Leben zwischen Kokainrausch, Ray-Ban-Brille und Nachtclubs schildert, neben "Less than Zero" von Brett Easton Ellis als Schlüsselroman der Yuppie-Generation. Beide Schriftsteller beschrieben das dekadente Leben junger Städter. So ähnlich die Thematik auch war, Ellis und McInerney unterschieden sich nicht nur darin, dass Ellis über die Westküste und McInerney über die Ostküste schrieb; auch ihre Herangehensweise an die Literatur und das Leben war eine andere. Ellis sei ein radikaler Nihilist, sagt McInerny in einem Interview, er selbst hingegen eher Romantiker.

Alte Bekannte

Die romantische Grundstimmung zog sich auch durch seine späteren Bücher, von denen keines mehr an den frühen Erfolg anschließen konnte. Ein wenig zu behäbig waren sie, mitunter kitschig mutete das Suchen und Finden oder eben Nicht-Finden der großen Liebe in seinen Romanen der 1990er Jahre an.

Das neue Werk "Das gute Leben" schließt nahtlos an diese Tradition an. Selbst einige der Protagonisten kennt man. Russel und Corinne Calloway, das sind die Helden aus McInerneys 1992 erschienenem Roman "Brightness Falls", der kurz vor dem großen Börsencrash 1987 spielt. Da waren Russel und Corinne noch Ikonen der Beständigkeit, der Inbegriff einer gelungenen Beziehung, auch wenn Corinne eine Affäre mit dem besten Freund ihres Mannes hatte.

Aus der Lethargie geholt

14 Jahre später ist von Liebe und Nähe kaum mehr etwas zu spüren. Russel, der 1987 ein aufstrebender Lektor war, der versuchte, den Verlag, für den er arbeitete, mittels Management-Buy-Out zu übernehmen, ist noch immer Lektor. Zwar kennt er Salman Rushdie, aber von dem Börseboom zu Ende der 1990er Jahre, der alle um ihn herum reich machte, konnte er nicht profitieren. Und seine Liebe zu Corinne ist in Routine erstarrt.

Wie auch die Beziehung von Luke McGavock. Den hat die Börsenhausse zum vielfachen Millionär gemacht und mit Mitte vierzig hat er beschlossen, sein Leben zu ändern. Als Privatier geistert er durch New York, sein Projekt, einen Samurai-Roman zu schreiben, will nicht so richtig in die Gänge kommen. Und dann stürzen am 11. September 2001 die beiden Türme ein.

Viele erwarten ihn noch immer, den ultimativen 9/11-Roman, und eines steht fest: Auch McInerney hat ihn nicht geliefert. So kümmert er sich in "Das gute Leben" nicht um die Gründe, warum jemand die Twin Towers angegriffen hat; das politische Moment ist ihm genauso egal wie die Psyche der Attentäter. Für ihn ist der Anschlag bloß etwas, dass die Protagonisten aus ihrer Lethargie holt. Am Tag nach der Katastrophe verlässt der nur knapp gerettete Luke Ground Zero und der erste Mensch, der ihm entgegenkommt, als er aus der Asche- und Staubwolke tritt, ist Corinne. Beide helfen bei den Aufräumarbeiten; sie versorgen die Einsatzkräfte mit Suppen, Sandwiches und Kaffee. Sie beginnen sich zu unterhalten und für einander zu interessieren.

Helfen ist cool

McInerney wollte in seinem Roman die spezielle Stimmung festhalten, in der sich New York kurz nach den Attentaten befand. Die Nähe, die die Leute empfanden, die Frage, die sich jeder stellte – in New York bleiben oder gehen –, der Trotz der New Yorker, der Stolz auf die Feuerwehrmänner. Aber McInerney übernimmt diese mittlerweile bereits zur Heldensage aufgeblasenen Geschichten nicht kritiklos. Warum denn niemand über die Plünderungen berichtet habe, lässt er einen Protagonisten fragen, und warum die Zahl all jener, die aus dem World Trade Center sprangen, nicht offen kommuniziert wurde. Die Antwort liefert McInerney gleich mit. All das passe nicht zur großen Erzählung, die das Land einen sollte und deshalb nur von Heldentaten und Barmherzigkeit handeln dürfe.

Auch am Mythos von der Selbstlosigkeit der Helfenden kratzt der Autor, denn für einige Zeit ist das coolste, was es in der Stadt zu tun gibt, am Ground Zero zu helfen. Frauen, die sich sonst die Adresse der besten Friseure zuraunen, handeln nun mit Telefonnummern, unter denen man sich für die freiwillige Arbeit melden kann. Das, was gestern noch die neue Tasche war, ist nun das Erdnuss-Sandwich, das man einem Feuerwehrmann reicht. Ein Vehikel zur Abgrenzung. Ein Mittel zum Distinktionsgewinn.

Weder schildert McInerney die Zeit vor den Anschlägen als Paradies; noch verdammt er sie als dekadente Epoche, die am Zusammenbruch mehr oder weniger selbst Schuld trägt. Und das Problem seiner Protagonisten ist auch weniger ein politisches als ein biologisches. Die Kämpfe der Jugend sind vorbei, die sozialen Positionen eingenommen; entweder hat man es wie Luke geschafft, oder es wie Corinnes Mann nicht geschafft. Aber - und das ist das Tröstliche - egal ob man nun kein Geld hat, oder so viel, dass man nie mehr einen Finger rühren muss -, zufrieden ist weder der eine noch der andere. Und so ist "Das gute Leben" zugleich ein desillusionierendes als auch ein zutiefst romantisches Buch. Zwar sind Glück und Liebe nur Trugbilder, denen man sein Leben lang hinterherläuft, aber gerade die Suche danach lässt das Leben lebenswert erscheinen. Und finden kann man die Liebe überall – selbst in den Trümmern des World Trade Center.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 21. Oktober 2007, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Jay McInerney, "Das gute Leben", aus dem Amerikanischen übersetzt von Ingo Herzke, Verlag Kiepenheuer und Witsch