Erinnerungen aus einer verlorenen Welt

Vor 80 Jahren in Bethlehem

Vor achtzig Jahren stand Bethlehem unter britischer Herrschaft und hatte etwa achttausend Einwohner. Einer von ihnen war der sieben Jahre alte Dschabra Ibrahim Dschabra, der heute zu den bedeutendsten Autoren Palästinas zählt.

Was erlebt ein junger Mensch in einer Stadt mit einem großen Namen? Denn einen großen Namen trägt diese Stätte, an der Jesus Christus geboren und an der Rachel, die Frau von Abrahams Sohn Jakob, begraben wurde. Als Dschabra Ibrahim Dschabra sieben war, interessierte ihn die Geschichte von Bethlehem nicht besonders. Für ihn war damals wichtiger, ob sein Vater eine Arbeit hatte, ob sie wieder in ein kleineres Haus umziehen mussten, und ob der Dämon, der im Feigenbaum lebte, ihn auch heute wieder verschonen würde.

Es war ein Leben in Armut, und dennoch war es selbstverständlich, dass der begabte Kleine in die Schule gehen musste - und das, obwohl ein Heft zum Schreibenlernen beinahe unerschwinglich war.

Studium in Cambridge

Man kann sich verlieren in diesen Erinnerungen aus einer verlorenen Welt, die von Streichen auf dem Schulweg erzählen, vom besten Freund Georges, vom Messdienersein und davon, wie seinem Vater, der vor seiner schweren Krankheit als Automechaniker arbeitete, ein großer Autoreifen entglitt, sich selbständig machte und holterdipolter irgendwo in der Ebene erst langsamer wurde und umfiel.

Zwei Stunden hat sein schon kränkelnder Vater gebraucht, um dieses Ungetüm zurück zur Werkstatt zu rollern, erzählt Dschabra sechzig Jahre später. Immer noch zerknirscht, denn es war seine Schuld gewesen, dass sich das Ungetüm in die Freiheit aufgemacht hatte. Man erfährt auch, dass sein großer Bruder die Schule verließ, als es Vater immer schlechter ging, und gegen den Willen der Anderen Geld verdienen ging, auch um den Kleinen zu unterstützen. Der Kleine absolvierte erst die höhere Schule in Jerusalem, studierte in Cambridge und war dann als Lehrer in Jerusalem tätig. Bis 1948. Bis er wie Hunderttausende andere ins Exil gehen musste.

Sehnsucht nach der Heimat

Dschabra Ibrahim Dschabra lebte bis zu seinem Tod Ende 1994 in Bagdad, immer darauf bedacht, seine Kultur und seine Heimat nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. In jedem seiner Bücher ist dieses Kreisen um die verlorene Heimat zu spüren, die Sehnsucht, zurück zu kehren. Dennoch war er kein "Unbelehrbarer": Kaum hatte er sich in Bagdad niedergelassen, gründete er eine Vereinigung zur Förderung irakischer Kunst und Künstler.

Seine alte Heimat Bethlehem hat er - literarisch gesehen - erst mit weit über sechzig wieder besucht. Wenn man sich traurig fühle, oder erschöpft, sagte er, sei es nötig, den Ersten Brunnen zu suchen, jenen Brunnen, der als erster Labsal gespendet hat. Seine Erinnerungen gelten in der arabischen Literatur als "Kleinod".

West-östliche Einflüsse

Und die anderen Bücher? Sie wurzeln unleugbar in der arabischen Kultur und der Erzählkunst von Tausendundeiner Nacht, und sie wurden genährt von der Kunst eines Kafka oder Sartre, eines Joyce, Proust, Huxley, Steinbeck und der Absurdität, die das Leben selbst zeigt.

Diese Absurdität hat ihn nach seinem Tod wieder eingeholt: 2001 plante die Gründerin und Leiterin des israelischen Verlagshauses al-Andalus, die Werke namhafter arabischer Autoren, unter anderem auch das Gesamtwerk Dschabras, auf Hebräisch zu veröffentlichen, was unter den arabischen Autoren einen Sturm der Entrüstung hervorrief - und es scheint so, dass die arabischen Autorinnen weniger Berührungsängste hatten.

Bis jetzt gibt es von Dschabra Ibrahim Dschabra nur zwei seiner Werke in Deutsch zu lesen. Sie machen Lust auf mehr.

Hör-Tipp
Terra incognita, Donnerstag, 13. Dezember 2007, 11:40 Uhr

Buch-Tipps
Dschabra Ibrahim Dschabra, "Der erste Brunnen", Lenos Verlag

Dschabra Ibrahim Dschabra, "Das vierzigste Zimmer", Lenos Verlag