Virginie Despentes eckt an

King Kong Theorie

Schon mit ihrem Film "Baise-moi" - zu Deutsch "Fick mich" - hat Virginie Despentes eines klar gemacht: Zu den sogenannten braven Mädchen zählt sie sich ganz sicher nicht. Diesen Anspruch unterstreicht sie mit ihrem neuesten Buch.

"King Kong Theorie" heißt das Buch von Virginie Despentes, in dem die französische Autorin die Rollen der Geschlechter untersucht – freilich ohne die bekannten feministischen Klischees. Vielmehr ist Emanzipation für Despentes eine Gemeinschaftsaufgabe von Männern und Frauen – und entsprechend verständnislos reagiert sie auch auf Klagen der Männerwelt:

Heutzutage hört man immer wieder Männer sich darüber beschweren, die feministische Emanzipation beraube sie ihrer Männlichkeit. Sie sehnen sich nach einem früheren Zustand zurück, als ihre Kraft sich aus der Unterdrückung der Frau ableitete. Dabei vergessen sie, dass dieser politische Vorteil, den sie genossen, von jeher seinen Preis hatte: Die Körper der Frauen gehören den Männern nur, wenn im Gegenzug die Körper der Männer in Friedenszeiten ausschließlich der Produktion und in Kriegszeiten ausschließlich dem Staat gehören.

Nicht gerade eine These nach dem Geschmack von Alice Schwarzer & Co., aber von dieser Art des Geschlechterkampfes hält Despentes sowieso nicht viel. Vielmehr hofft sie auf eine männliche Emanzipation, die die derzeitige Schieflage zwischen den Geschlechtern wieder ins Gleichgewicht bringen soll.

Endlich den Machowahn über Bord werfen, diese elende Falle für Blöde, die nur absolute Schwachköpfe brauchen. (...) Vor welcher Unabhängigkeit haben denn die Männer so große Angst, dass sie lieber weiterhin gar nichts sagen und schon erst recht nichts erfinden? Dass sie über ihre eigenen Lebensbedingungen nichts Neues, Kritisches oder Erfinderisches vorzubringen haben?

Weiblich und weiblich

Es sind ungewöhnliche Thesen, die Virginie Despentes vertritt, und sie tut das mit Überzeugung und Leidenschaft. Ihre eigene Geschichte bildet die Basis für ihre ungestümen Ausführungen, die Vergewaltigung mit 17, nach der sie beschloss, nicht daran zu zerbrechen, sondern es auszuhalten, oder ihre Zeit als Prostituierte, in der sie ihre feminine Seite durchleuchtete und sich die Frage stellte, worin der Unterschied zwischen der in Frauenmagazinen propagierten Weiblichkeit und der Weiblichkeit einer Nutte eigentlich besteht.

Es gibt keinen, ist ihre Schlussfolgerung, und so fordert sie die Legalisierung der Prostitution und eine gesellschaftliche Absicherung für Prostituierte - im Wissen, dass ihre Forderungen angesichts der von ihr beklagten Doppelmoral auf taube Ohren stoßen müssen.

Für die Dreckwäsche zuständig

Das Buch der französischen Autorin und Filmemacherin ist nicht zuletzt hochpolitisch. Sie klagt einen Staat an, der sich ungeniert in das Privatleben seiner Bürger einmischt und auch noch deren geheimste Triebe kontrollieren will, und eine übersättigte Gesellschaft, die sich nicht dagegen zur Wehr setzt, sondern alles mit sich geschehen lässt.

Das alles unterlegt Despentes mit feiner Ironie, so etwa wenn sie einen Liebesbrief von Jean-Paul Sartre an Simone de Beauvoir unter die Lupe nimmt, in dem der große Philosoph - neben der Erwähnung ihres "bezaubernden kleinen Gesichts" - seine Gefährtin bittet, seine Wäsche in die Wäscherei zu bringen. "Drehen Sie das um", fordert Despentes den Leser auf. Man stelle sich also vor, Sartre hätte sich um Simone de Beauvoirs Wäsche kümmern müssen. Ist das denkbar? Kaum, meint Virginie Despentes und schlussfolgert messerscharf:

Sofort versteht man besser, welchem Geschlecht wir angehören, nämlich dem der Dreckwäsche des anderen und des bezaubernden kleinen Gesichts.

Kein Blatt vor dem Mund

Ein lautes, ein angriffiges, ein radikales Buch, polemisch und vulgär – und gleichzeitig voller ungewöhnlicher Ansichten. Virginie Despentes nützt ihren Ruf als "enfant terrible", um kein Blatt vor den Mund zu nehmen, sie klagt an, legt den Finger auf so manche Wunde und macht dabei auch vor sich selbst nicht halt. Ihre Ausführungen sind vielfach durchaus selbstironisch, sie nimmt sich nicht todernst, sieht sich eher als King Kong denn als Kate Moss und pocht vehement auf ihr Recht, sich männlich zu geben, wenn ihr danach ist.

So entsteht auch das Bild einer ungewöhnlichen Frau, die ihre Umwelt mit scharfem Verstand durchleuchtet und sich durchaus darüber im Klaren ist, dass sie vielfach aneckt - was ihr letztlich nur recht sein kann.

Hör-Tipp
Ex libris, Sonntag, 27. Jänner 2008, 18:15 Uhr

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Buch-Tipp
Virginie Despentes, "King Kong Theorie”, aus dem Französischen übersetzt von Kerstin Krolak, Berlin Verlag