Ein Reisetagebuch

Drei Generationen in einem Bus

Eine Woche sind wir schon unterwegs. Überall auf dem transsilvanischen Land das gleiche Bild von trostloser oder auch romantischer Verlassenheit in einer sanft hügeligen Gegend, die für sich einnimmt, weil das Kapital gefehlt hat, sie zu ruinieren.

Ein kleiner Friedhof in Martinsdorf/Metis, einem Dorf nicht weit vom zur europäischen Kulturhauptstadt 2007 herausgeputzten Herrmannstadt/Sibiu, das von Touristen überrannt wird. 20 Kilometer weiter das Ende der Welt. Keine Touristen außer unserem familiären Trupp, der von Nellu, dem rumänischen Bus-Chauffeur hierhergebracht wurde. Der Friedhof ist ein verwunschener Ort, der von der Natur beharrlich zurückerobert wird.

Viele Schobels haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden, sie können nicht alle mit uns verwandt sein. Oder doch? Die Siebenbürger Sachsen, von denen wir abstammen, dürften heiratspolitisch ziemlich unter sich geblieben sein. Was mag mein Ururgroßvater Martin, ein stolzer Großbauer, der hier den "Herrenhof" und viel Land besaß, für ein Verhältnis zu den Rumänen gehabt haben, die immerhin für ihn arbeiteten? Oder gar zu den Zigeunern (die hier so genannt werden dürfen, weil sie sich selbst so nennen), die nicht als Arbeitskräfte zur Verfügung standen?

Trostlose Verlassenheit

Eine knappe Woche sind wir jetzt schon unterwegs. Überall auf dem transsilvanischen Land das gleiche Bild von trostloser oder auch romantischer Verlassenheit in einer sanft hügeligen Gegend, die für sich einnimmt, weil das Kapital gefehlt hat, sie zu ruinieren. Auch in Rothberg/Rosia, wo der berühmte Autor und Pfarrer Eginald Schlattner heroisch die Stellung hält, Gottesdienste vor leeren Bänken liest und sich um die Verlierer und Verweigerer des Fortschritts kümmert: Zigeuner der Umgebung und Inhaftierte des nahe gelegenen Frauengefängnisses.

Nach der Wende 1989 haben fast alle Angehörigen der deutschen Minderheit ihre Koffer gepackt und sind nach Deutschland, Österreich oder Amerika ausgewandert.

Familienforschungen

In Martinsdorf, wo unsere Vorfahren gelebt haben, bereitet uns Frau Hartmann, eine alte Freundin meiner Tante Lisbeth, in ihrem traditionellen Bauernhof einen warmen Empfang und erzählt von unseren Vorfahren, die sie als Kind gekannt hat. Vor 20 Jahren hat Lisbeth mit ihren Familienforschungen begonnen.

Lange hat sie gebraucht, ein paar Angehörige davon zu überzeugen, dass so eine Reise in die Vergangenheit auch für unser gegenwärtiges Leben interessant sein könnte. Aber jetzt, bevor die letzten Spuren verwischt sind, hat sie es geschafft und wir sind endlich da: Lisbeth, vor ihrer Pensionierung eine engagierte Sozialarbeiterin, die den Verdacht hat, dass der dominante Charakter der Siebenbürger Vorfahren bis heute die männliche Nachkommenschaft prägt.

Onkel Martin, ein pensionierter Schuldirektor mit kulturwissenschaftlichem Interesse, der unserem rumänischen Chauffeur die Welt erklären will. Cousine Barbara, die im Innenministerium arbeitet und alles fotografiert, der angeheiratete Schriftsteller Peter, der sich Notizen macht und ich, die unsere Reise akustisch dokumentiert.

Die alten Höfe
Auf dem Weg zum Friedhof werden wir vom Bruder und der Schwägerin Frau Hartmanns begleitet. Sie sind nach Deutschland ausgewandert und nur zu Besuch. Bitterkeit kommt auf, als wir an den alten stattlichen Höfen der Siebenbürger Sachsen vorbeikommen, die heute von Rumänen und Zigeunern mehr schlecht als recht bewirtschaftet werden. Aber Rumänen und Zigeuner haben eben keine Verwandten in Deutschland, die ihnen Geld für die Renovierung zukommen lassen.

Das Schicksal der Siebenbürger Sachsen ist hart, aber nicht unverschuldet. Begeistert hatte sich der Großteil der deutsprachigen Minderheit in Rumänien mit Nazideutschland identifiziert, das kommunistische Regime hat sie das büßen lassen. Auch durch meine Familie geht dieser Riss.

Anhänger und Gegner Hitlers
Viele der in Siebenbürgen gebliebenen Vorfahren sind in den Sog des Nationalsozialismus geraten, die rechtzeitig Ausgewanderten waren hingegen entschiedene Gegner Hitlers. Dass diese entschiedenen Gegner Hitlers allerdings Anhänger des autoritären Ständestaats von Dollfuß waren, sorgt auf unserer Reise für Diskussionen, die bei Speis' und Trank im Hause Hartmann befriedet werden.

Wir haben gut gegessen und getrunken, könnten noch eine Woche davon zehren. Aber dann lassen wir uns auf unserer nächsten und letzten Station in Seiden/Jidvei doch noch zu einem Abendessen überreden und das ist gut so. Hier wohnt Elisabeths Freundin Maria, die - auch das war möglich - von einem gemischtsprachig, rumänisch-deutschem Ehepaar abstammt.

Mahl mit Nachbarn
Hartes Schicksal auch hier, nach Russland verschleppte Verwandte, aber keine Ressentiments. Beim Abendmahl sind auch die Nachbarn, ein griechisch-katholisch-unierter Pfarrer samt seiner Frau und viele Freunde anwesend. Menschen unterschiedlicher Herkunft mit unterschiedlichen Konfessionen an einem Tisch.

Auch die Zigeuner gelten hier als liebenswerte, wenn auch nicht ganz verlässliche Mitbürger. Essend und trinkend feiern wir ein Fest, wie wir es noch nie erlebt haben und hauen tüchtig über die Schnur. Am nächsten Tag treten wir etwas verkatert die Heimreise an.