"Ich kämpfe für das Werk des Herrn!"
Adolf Hitlers Theologie
Weder war Hitler Theologe, noch waren seine Absichten religiöse. Trotzdem verkündigt er sein politisches Projekt von Anfang an bis zuletzt im Namen eines Gottes. Der Grazer Pastoralpsychologe Rainer Bucher hat dazu ein aufsehenerregendes Buch vorgelegt.
8. April 2017, 21:58
Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Mit Fanfaren wird eine der von der nationalsozialistischen Propaganda penibel inszenierte Liturgie des Sports und Körperkults eröffnet. Die Filmregisseurin Leni Riefenstahl dreht mit "Olympia", einen ästhetisch außergewöhnlichen, politisch aber höchst umstrittenen Dokumentarfilm.
Der Öffentlichkeit suggeriert Riefenstahl darin mit archaisch-religiösem Pathos, eine neue Zeit des Heils, die mit den Nationalsozialisten angebrochen sei. Hier werden die athletischen Vertreter einer Herrenrasse präsentiert, die das klassische Griechenland der Antike in das Berlin von 1936 holen.
Der nationalsozialistische Kult fasziniert die meisten Zeitgenossen. Heute noch überträgt sich auf den Betrachter das Gänsehaut erzeugende Bild von frenetisch jubelnden Massen, von Männern und Frauen mit dem Glanz der unterwürfigen Begeisterung in den Augen, wenn der Führer mit seinem Volk in religiöser Emphase zu verschmelzen scheint.
Wie ist das religiöse NS-Pathos zu verstehen?
Welche Rolle spielt Religion im Nationalsozialismus? Ist Adolf Hitler einfach ein eiskalt kalkulierender Volksverführer, der nur rhetorisch mit religiösem Vokabular zum eigenen Vorteil spielt? Oder hat Hitler tatsächlich daran geglaubt, was er schon in seinem Buch "Mein Kampf" schonungslos offen beschrieben hat?:
So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre kämpfe ich für das Werk des Herrn.
Adolf Hitler glaubte tatsächlich im Namen eines Gottes zu handeln. Selbst für das Projekt der Vernichtung der Juden, für den Holocaust, fand Hitler eine theologische Begründung.
Essenz der Habilitation
Das ist die These eines sorgfältig recherchierten und spannend zu lesenden Buches mit dem Titel "Hitlers Theologie". Geschrieben hat es Rainer Bucher. Er ist Professor für Pastoraltheologeie und Pastoralpsychologie der Katholisch Theologischen Fakultät der Universität Graz. "Hitlers Theologie" ist das Kondensat seiner Habilitationsschrift, deren Essenz er nun auf etwas über 200 Seiten im Echter-Verlag vorgelegt hat.
Was meint Rainer Bucher, wenn er von einer Theologie Hitlers spricht. Theologie nicht im wissenschaftlichen Sinn, auch nicht im spezifisch christlichen Sinn, sondern Theologie im Sinne einer Rede von Gott, die für den, der so redet , persönlich bedeutsam ist. Und letzteres war bei Hitler der Fall, sagt Rainer Bucher. Er bezeichnet Theologie als tragenden Pfeiler des Hitlerschen Politprojekts.
Der Glaube Adolf Hitlers zeigt sich nicht nur daran, dass er seine politischen Projekte theologisch begründet und legitimiert, sondern vor allem daran, dass sie handlungswirksame tödliche Konsequenzen hatten.
Die Wirkung des Nationalsozialismus
In einer Rede Hitlers auf dem Reichsparteitag 1938 werden Konturen seines persönlichen Weltbildes deutlich:
An der Spitze unseres Programms steht nicht das geheimnisvolle Ahnen, sondern das klare Erkennen und damit das offene Bekenntnis. Indem wir aber in den Mittelpunkt dieser Erkenntnis und dieses Bekenntnisses die Erhaltung und damit Fortsicherung eines von Gott geschaffenen Wesens stellen, dienen wir damit der Erhaltung eines göttlichen Werkes und damit der Erfüllung eines göttlichen Willens, und zwar nicht im geheimnisvollen Dämmerschein einer neuen Kultstätte, sondern vor dem offenen Antlitz des Herren.
Der Erfolg des Nationalsozialismus gründete sich nicht allein auf Terror und Gewalt. Er war etwas wirklich Neues: Die Faszination die von dieser politischen Bewegung ausging, bestand aus einer Mischung von nationaler, kulturell-einheitlicher Volksgemeinschaft, sozialem Gleichheitsversprechen, technischem Fortschritt und individuellem Heldentum. Modernität und Tradition sollten ebenso miteinander verbunden werden wie Individualität und Gemeinschaft. Doch diese Gleichrichtung funktionierte nur mit Gewalt und durch den Ausschluss aller Andersartigen. Dies haben die Nationalsozialisten von Anfang an auch klar als politischen Preis deklariert.
Kirchliche Konkurrenz
Doch damit dieser Preis vom deutschen Volk gezahlt oder zumindest in Kauf genommen würde, musste der Geist der Menschen dementsprechend ausgerichtet werden. Und so machten die Nazis den christlichen Kirchen bald Konkurrenz, auch auf dem Gebiet der religiösen Formierung des Lebens. Neben der Inszenierung von neuheidnischen Ritualen importierten sie christliche und außerchristliche Ritualtraditionen in ihre Herrschaftspraxis.
Adolf Hitler wollte die göttliche Schöpfungsordnung - so wie er sie verstand - wiederherstellen. Allerdings war Hitler kein religiöser Schwärmer - eher das Gegenteil. Sein Denken war über weite Strecken vom Szientismus und vom Rationalismus geprägt. Und er erwartete das "Ausklingen der Kirchen" aufgrund ihrer "widervernünftigen Glaubenslehren". Hitler glaubte, dass die göttliche Schöpfungsordnung darauf hinauslief, eine konkrete weltlich-politische Ordnung wiederherzustellen und er sah sich - spätestens nach den beiden misslungenen Attentaten auf ihn - auch dazu berufen. Doch auch, wenn Hitler von manchen seiner engeren Gefolgsleute als Messias stilisiert wurde, sah er selbst sich nicht so, sagt Rainer Bucher.
Hitlers politische Religion
Der Nationalsozialismus Hitlers ist in seinem Kern eine politische Religion. Dieser Begriff stammt vom emigrierten österreichischen Philosophen und Staatsrechtler Eric Voegelin. Voegelin vertritt die These, dass die modernen Totalitarismen säkularisierte Formen von ehemals absoluten kirchlich-religiösen Gewissheiten sind. Die klassische, religiöse Autorität der Kirchen sei zerfallen. Dies aber habe dazu geführt, dass innerweltliche Religionen entstanden seien, die an die Stelle eines transzendenten Gottes immanente Objekte setzten.
Für die Anhänger der politischen Religionen besitzen aber die immanenten Phänomene nun jenen erkenntnis- und handlungsleitenden Stellenwert, der einstmals dem christlichen Gott zukam. Politische Religionen sind also Heilslehren, die den Anspruch haben, ein erreichbares Endziel der Menschheitsgeschichte selbst herstellen zu können. Mit diesem Anspruch rechtfertigen sie auch den Einsatz von Gewalt, weil diese ja nur zur Durchsetzung eines bereits erkannten logischen Ziels gebraucht werde.
Hitlers Verhältnis zu den Kirchen
In seinen Anfängen bewundert Hitler - vor allem die die katholische Kirche als eine über die Jahrhunderte lebendige Glaubens-Organisation.
Die Faszination Hitlers von den Kirchen schwindet in dem Masse, in dem seine eigene politische Religion stark wird. Er sieht in ihnen zunehmend rivalisierende Loyalitätszentren, die den politischen Willen zum nationalsozialistischen Kampf zersetzen.
Zwar leisten die Kirchen als Organisation gegenüber den Nazis keinen organisierten Widerstand, zahlreiche einzelne Geistliche aber sehr wohl. Sie werden überwacht, verfolgt, und einige sterben in den Konzentrationslagern. Hitler war der geistliche Widerstand ein Dorn im Auge.
Aus heutiger Sicht erscheint es als unverständlich, weshalb die Kirchen so wenig erfolgreich waren im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Rainer Bucher sieht einen wesentlichen Grund darin gegeben, dass die katholische Kirche noch keine Kategorien hatte, um das Phänomen des Nationalsozialismus angemessen zu kritisieren.
In der Auseinandersetzung mit Hitlers Theologie sei ihm das Spezifische der christlichen Theologie nochmals ganz deutlich klar geworden, sagt Rainer Bucher. Dies habe ihn in seinem persönlichen Glauben tief geprägt.
Hör-Tipp
Logos, Samstag, 29. März 2008, 19:05 Uhr
Buch-Tipp
Rainer Bucher, "Hitlers Theologie", Echter-Verlag
Link
Echter Verlag - Hitlers Theologie