Über den reinen Gebrauch hinaus

Funktionieren reicht nicht mehr

Werden neue elektronische Geräte und Software entwickelt, muss auch die sogenannte Usability geprüft werden. Mittlerweile geht es aber nicht mehr nur darum, ob die Technik benützbar ist, sondern auch darum, welche Erlebnisse sie dem Benützer beschert.

Das Wissenschaftsfach "human-computer-interaction", abgekürzt HCI, befasst sich mit der Interaktion zwischen Mensch und Computer. Die Wissenschaftler, die sich damit beschäftigen, kommen aus den Bereichen Computerwissenschaften, Verhaltensforschung, Soziologie, Design und vielen anderen Bereichen. Es handelt sich also um eine sehr interdisziplinäre und sehr große Community, die da seit 26 Jahren zur größten Konferenz des Faches pilgert, die sich CHI – Conference on Human Factors in Computing Systems nennt.

Heuer versammelten sich die HCI-Forscher von 5. bis 10. April in Florenz - der Stadt der Renaissance und der damals gelebten Balance zwischen Wissenschaft und Kunst. Diese Balance in der Gestaltung von Computersystemen wieder zu finden war das große Thema der Konferenz.

Die User-Experience

Die reine Funktionalität der Technik reiche heute nicht mehr, sagt der österreichische Usability-Experte Manfred Tscheligi. Er ist Gründer des Center for Usability Research & Engineering CURE, Gründer und Geschäftsführer der Usability Consultingfirma USECON und Professor für Human-Computer Interaction and Usability an der Universität Salzburg.

Dass man technische Dinge benützen kann, das Menü versteht und nicht von ihrer Komplexität überrollt wird, wird heutzutage einfach erwartet. Jetzt gehe es darum, "was macht mir Freude, was bringt mir Spannung oder wo kann ich emotionale Erlebnisse haben", sagt Manfred Tscheligi. Deshalb spreche man heute unter HCI-Fachleuten nicht mehr unbedingt über "Usability", sondern über "User-Experience".

"Natürliche" Technik

Fabian Hemmert von der Technischen Universität Berlin zum Beispiel arbeitet an neuen Beziehungen zwischen Mensch und Maschine. Eines seiner Projekte bietet die Möglichkeit, sich einen geschriebenen Text vom Computer vorlesen zu lassen, wenn man die Augen schließt.

Das schafft einerseits Distanz zum Text und andererseits die Möglichkeit, die Augen zu entspannen. Man braucht dafür bloß ein Textverarbeitungsprogramm mit Sprachausgabe, einen Computer mit eingebauter Kamera und Fabian Hemmerts Software. Diese analysiert das Live-Kamerabild und startet das Vorlesen des Textes, wenn die Augen länger als eine Sekunde geschlossen sind.

Das andere Projekt nennt sich "dynamic knobs" - also dynamische Knöpfe - und betrifft ein neues Interface für Mobiltelefone, bei dem nicht ein Text-Bild-Menü, sondern veränderbare Knöpfe anzeigen, ob man einen Anruf versäumt hat, wer angerufen hat und dergleichen.

Für seine Doktorarbeit entwickelt Fabian Hemmert sogar natürlich wirkende Lebensäußerungen für Mobiltelefone, wie Atmen oder Herzklopfen. Warum soll ein Gerät bei zur Neige gehendem Akku nicht zum Beispiel Magenknurren haben, statt einer Stricherlanzeige?

Pullover mit Geschichten

Nach neuen Interfaces suchen auch Daniela Rosner und Kimiko Ryokai von der School of Information der University of California in Berkeley. Sie haben ein System entwickelt, mit dem man persönliche Geschichten und Geschichte in Gehäkeltes oder Gestricktes einarbeiten kann.

Das Projekt nennt sich Spyn - abgeleitet vom Wort "spin" für Spinnen. Es besteht aus einer Schachtel für die Wolle, die beim Herausziehen mit einer Tinte bedruckt wird, die bei infrarotem Licht sichtbar ist. Während des Strickens kann die handarbeitende Person mit Spyn Fotos, Videos oder Audios aufnehmen.

Die Aufnahmen werden über die Tinte jener Stelle des Wollfadens zugeordnet, die mit dem Zeitpunkt der Aufnahme korreliert. Später kann man den fertigen Schal oder Pullover mit der in die Schachtel eingebauten Infrarotkamera fotografieren, diese Stellen wiederfinden und die dazugehörigen Aufnahmen abspielen.

Daniela Rosner über die Idee dahinter: "Handarbeiten an sich ist eine interessante Sache, weil es so eine lange Tradition hat. Stricken ist mobil, entspannend und wieder voll im Trend. Handgemachte Dinge sind so reich an Bedeutung und wir haben uns gefragt, wie Technologien die soziale Natur dieser Tätigkeiten unterstützen können."

Überzeugende Technik

Mittlerweile gehe es im Fach Human-Computer-Interaction auch darum, über nachhaltige Effekte der Computerbenutzung nachzudenken, so Manfred Tscheligi. Durch die Gestaltung einer Benutzerschnittstelle könnte zum Beispiel das Bewusstsein für Randgruppen geschaffen werden oder der User könnte dazu angeregt werden, sich gesünder zu verhalten oder die Umwelt zu schonen.

Bei der Konferenz wurde zum Beispiel über das Thema "persuasion" diskutiert, also über positive Überzeugung.

Da fallen einem gleich einige persuasive Dinge ein, die man sich wünschen würde: Laufschuhe zum Beispiel, die sich freundlich aber bestimmt bemerkbar machen, wenn sie seit einer Woche unbenützt in der Ecke liegen; oder ein Schreibtischsessel, der weniger gekrümmtes Vor-dem-Computer-Hängen einmahnt; oder vielleicht sogar ein Auto, das in Form eines immer röter werdenden Planeten anzeigt, wieviel CO2 es bereits in die Luft geblasen hat.

Übersicht