Eric Sanders, geboren als Ignaz Erich Schwarz

Emigration ins Leben

Vom jüdischen Greißlersohn zum Flüchtling, vom Kuhhirten zum "agent", vom Besatzungssoldaten zum engagierten Lehrer in London: Eric Sanders beschreibt in seiner Autobiografie eine "geglückte Emigration", denn 1938 wanderte er ja nicht freiwillig aus.

Seinen eigenen Geburtstag hat er nie vergessen, scherzt Eric Sanders am Beginn seiner Autobiografie – es ist der 12. Dezember 1919. Eric Sanders hieß nicht immer Eric Sanders: Er wurde als Ignaz Erich Schwarz geboren; ein Sohn jüdischer Eltern, die im 15. Wiener Gemeindebezirk ein kleines Lebensmittelgeschäft betrieben. Die Familie Schwarz war nicht reich, aber die beiden Kinder - Ignaz und sein älterer Bruder Fredi - wuchsen sehr behütet auf. Man legte Wert auf gute Schulbildung und darauf, dass die Kinder ein Instrument lernten.

Nach der Schule ging Ignaz zum Fußballspielen mit Freunden in den Schönbrunner Schlosspark (man vergötterte die Admira) und an Samstagen zum Jugendgottesdienst in die Synagoge. Manchmal blieb etwas Geld für einen Kinobesuch - und die Sommerferien verbrachten die Brüder im Hietzinger Strandbad oder im Sommerlager der jüdischen Pfadfindergruppe "Zirenu". Schwarz beschreibt seine Kindheit als heiter und unbeschwert; bis er im Jahr 1937 das erste Mal direkt mit dem Antisemitismus konfrontiert wird. Und zwar in Gestalt einer Gruppe jugendlicher Schläger. Von da an erlebt Schwarz den wachsenden Judenhass fast täglich:

"Als ich von der Hauptschule in Hietzing zur Realschule transferiert wurde, weil ich ein Vorzugszeugnis hatte - verdient hatte ich's glaub ich nicht -, da begann ich den Nazismus wirklich zu fühlen", erzählt er. "Da gab es keinen Tag, ohne dass ich von jemandem angespuckt, Saujude genannt wurde, gestoßen, alle möglichen Dinge. Und das war nicht so schön."

Keine Zeit zu verlieren

Als Hitler 1938 in Wien ankommt, ist Ignaz Erich Schwarz gerade 18 Jahre alt: "Hitler kam bei uns vorbei in der Hadikgasse. Und ich lief hin um das zu besichtigen. Ich stand dort mit ein paar anderen Leuten am Gehsteig. Hitler stand da in einem offenen Wagen mit seinem rechten Arm hochgehalten und blickte starr voraus. Wenn es eine Puppe gewesen wäre, er hätt' grade so ausgesehen. Und ich muss zugeben, ich hatte keine Gefühle. Ich wusste irgendwie, dass das etwas Furchtbares war, was da geschah. Aber eine direkte Reaktion zur Ankunft dieses Mannes hatte ich nicht."

Die Eltern erkennen rasch, dass es keine Zeit zu verlieren gilt: Die Mutter nimmt Kontakt zu Verwandten in England auf und kümmert sich um Auslandvisa für die Familie. Ignaz verdankt es dann einer Beamtin des britischen Konsulats in Wien, dass er überhaupt ein Visum bekommt: Diese gewisse Mrs. Holmes hält sich nämlich nicht an die englischen Gesetze und genehmigt seinen Einreiseantrag, obwohl er formale Fehler enthält.

Dass er Mrs. Holmes Jahre später in England wieder trifft, ist eine der unglaublichen Wendungen in Schwarz' Leben, die seine Geschichte so spannend machen.

Beim britischen Geheimdienst

In England angekommen, wechselt Ignaz Schwarz seinen Namen - und heißt fortan Eric Sanders. Er beginnt in London ein Wirtschaftsstudium und meldet sich zur britischen Armee. Er hofft, möglichst bald gegen die Nationalsozialisten kämpfen zu können. Doch die Jahre vergehen und seine Hoffnung bleibt unerfüllt.

Im Jahr 1942 kann Sanders dann endlich in eine Sektion des britischen Kriegsgeheimdienstes wechseln - in die sogenannte Special Operations Executive. Diese von Winston Churchill gegründete Einheit will mit Hilfe von Flüchtlingen und Vertriebenen die deutsche Infrastruktur sabotieren und in ganz Europa Partisanen- und Widerstandgruppen aufbauen und unterstützen.

Eric Sanders über seine Anwerbung zu dieser Einheit durch einen Vorgesetzen beim Militär: "Als er mich ansprach, sagte er, diese Einheit sucht Menschen, die ihrem Vaterland ergeben sind und es befreien wollen. Und das war eigentlich nicht mein Ziel. Ich sagte ihm, ich glaube, das kann ich nicht sagen. Aber ich kann Ihnen sagen, dass ich so sehr Hitler hasse und so sehr etwas gegen die Deutschen in diesem Krieg tun möchte, dass das sicherlich genauso wichtig ist."

Etwas tun wollen

Sanders wird nun zwar auf den Einsatz mit der Waffe vorbereitet, er lernt geräuschloses Anschleichen, den Fallschirmabsprung und das Schießen. Doch es bleibt beim Training und bei der Theorie. Er wartet bis Kriegsende vergebens auf einen Einsatz. Am 21. Jänner 1945 notiert er in sein Tagebuch:

Die Kriegsnachrichten sind gut. Die Russen kämpfen auf einer weiten Front in Schlesien und Russland. Wenn sie durchbrechen, könnte es geschehen, dass ich in diesem Krieg keine Aktion mehr sehen werde. Ich bin mir über meine Gefühle darüber nicht klar. Meistens denke ich: "Verdammt, ich kann doch nicht all das durchgemacht und dann nichts getan haben!" Dazwischen aber gibt es Momente, in denen ich anders denke. Realistisch sollte ich froh sein, den Krieg unverletzt zu überstehen. Jedoch tief in mir ist ein überwältigender Wunsch, etwas Effektives, etwas Wichtiges zur Niederlage Hitlers beizutragen.

Pädagogik und Politik

Sanders ist kein aktiver Sozialist, im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen in der Special Operations Executive. Er will am Untergang der Nazis und Antisemiten mitwirken und nicht am Aufbau der Sozialdemokratie in Österreich. Er habe Österreich mit der Gewissheit verlassen, dass auch die Arbeiter Hitler mit offenen Armen empfangen hatten. Sein Hass auf den Nationalsozialismus sei aber nie gegen einzelne Personen gerichtet gewesen, erzählt Sanders:

"Ich finde es sehr schwer, jemanden zu hassen. Ich finde es unmöglich. Als ich später deutsche Gefangene betreuen musste, kam ich mit ihnen sehr gut aus, denn einzelne Personen konnte ich nicht hassen. Ich hasste die Idee, dass ein Mensch allen anderen befehlen kann. Aber nie war es ein individueller Hass."

Nach dem Krieg bleibt Eric Sanders in England. Für eine Rückkehr nach Österreich habe es einfach zu wenige Gründe gegeben. Er lässt sich zum Lehrer ausbilden und engagiert sich schließlich doch aktiv in der englischen Sozialdemokratie. In seinem Einsatz für die Gesamtschule verbindet er die Pädagogik mit der Politik.

Spannend und witzig zu lesen

Eric Sanders Memoiren lesen sich wie ein guter Roman - atemberaubend spannend, kurzweilig und witzig. Wenn er auf ein und derselben Seite von einem Flirt mit einem Mädchen, einer Fußballverletzung und einer antisemitischen Attacke erzählt, wirkt das nicht etwa zu wenig ernsthaft, im Gegenteil: Durch diese Montage aus Erinnerungen und Tagebucheinträgen wird deutlich, mit welcher Wucht der Antisemitismus in sein behütetes junges Leben gebrochen ist.

Diese Art der Beschreibung zeigt, wie die Nazis den Juden von Anfang an ihren Alltag, ihre Lebensperspektiven und gewissermaßen ihre Normalität raubten. Die Geschichten, die Sanders erzählt, ergeben so nicht nur seine eigene Lebensgeschichte: Sie ergeben eine jüdische Lebensgeschichte.

"Ich glaube, man soll das Leben genießen", so Sanders heute. "Man soll dabei nicht anderen wehtun. Dazu gehört aber auch, die Gefahren abzuwenden, die hervorkommen, wenn andere ein schlechtes Leben haben. Daher muss ein Teil des guten-Leben-Habens darin bestehen, etwas zu tun, damit auch andere Leute ein gutes Leben haben. Soweit man kann."

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Eric Sanders, Peter Pirker (Hg.), "Emigration ins Leben.
Wien-London und nicht mehr retour", Czernin Verlag

Link
Czernin Verlag - Emigration ins Leben