Marktwirtschaft als Dorado für Gesetzlose

Die Zuhälter der Globalisierung

Die globale Ökonomie, die scheinbar den "Gesetzen des Marktes" folgt, entwickelt sich in Wahrheit immer mehr zu einem Dorado für Gesetzlose, für "Outlaws" und "Schurken", formuliert die Journalistin und Geldwäsche-Expertin Loretta Napoleoni in ihrem Buch.

Gute Tage beginnen mit schlechten Nachrichten. Das gilt zumindest für Journalisten und Pessimisten. Die Tragik des Lebens erklärt sich nicht dadurch, dass manche Menschen schlecht sind und anderen Menschen Schaden zufügen, sondern dadurch, dass die Geschädigten nichts gegen ihr Los unternehmen und sich stattdessen einreden, das sei eben der Lauf der Dinge.

Beispiel Globalisierung. Von Seiten der Politik hört man seit 20 Jahren, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, die Welt sei eben zusammengerückt, indem die kapitalistische Marktwirtschaft nun als Universalideologie fungiere und damit das Modell vom Nationalstaat allmählich obsolet mache.

Inmitten tiefer Veränderungen kann es sein, dass die Politik die Kontrolle über die Wirtschaft verliert, und die Wirtschaft wird zu einer Schurkenkraft in den Händen dunkler neuer Drahtzieher. Schurkenwirtschaft hat die meisten größeren historischen Transformationen geprägt, ihre Ausbreitung hat alte Volkswirtschaften beschädigt, alte Reiche zerstört und neue entstehen lassen.

Soziale Schieflage

Es handelt sich also um eine Art Naturgesetz, dass sich viele Märkte zu einem Markt verdichten und sich nun eine österreichische Arbeitskraft mit einer ukrainischen messen muss, ein deutscher Firmenstandort mit einem indischen oder dass der Preis meiner Frühstückssemmel davon abhängt, wie groß der Appetit in China ist.

Die vielfach geäußerte Meinung, dass die Globalisierung nicht steuerbar sei und dass man nun einmal damit leben muss, dass ein fernöstlicher Schnupfen unweigerlich eine europäische Grippe zur Folge hat, will die italienische Journalistin Loretta Napoleoni nicht gelten lassen. Was an und für sich eine gute Sache ist, denn die soziale Schieflage, also die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die Auflösung des klassischen Mittelstands in den Industriestaaten, die brüchig gewordenen nationalstaatlichen Gesellschaftsverträge, die auf Solidarität, Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit fußen - all das ist eine Folge dessen, was Napoleoni "das Ende der Politik" nennt.

Die Politik sieht zu
Die globalisierte Politik geht weit über die hehren Ideale der Nationen hinaus, und die Politik ist ein bösartiger, ganz und gar unberechenbarer Kampf um die Macht geworden.

Etwas weniger dick aufgetragen heißt das: Der globale Markt drängt nicht die Politik zurück, sondern die Politik, sofern sie sich als wirtschaftsliberal bezeichnet, sieht sich nicht mehr als Regulativ oder als gestaltende Kraft, die sich zwischen die ökonomischen Interessen der Industrie und den Gestaltungsmöglichkeiten des einzelnen Bürgers stellt.

Nach dem Motto "Geht's der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut" lässt die Politik dem Marktgeschehen freien Lauf, mit dem Argument, die freie Marktwirtschaft verhindere den Aufstieg oder Wiederaufstieg der Planwirtschaft. So wird die Durchsetzung der Marktwirtschaft als Erfolg des westlich-demokratischen Modells gefeiert, auch wenn nicht so klar ist, wo die Demokratie in Russland oder gar in China geblieben ist.

Hinter Mythen und Symbolen versteckt
Tatsächlich aber hat der globale Markt, also die Freisetzung sämtlicher Kräfte, die auf Gewinnmaximierung abzielen, den Handlungsspielraum des einzelnen Bürgers extrem eingeschränkt. Seinem Gefühl von Willkür und Ohnmacht steht die Inszenierung des Reichtums von Unternehmern und Vorstandsvorsitzenden gegenüber, denen genau das fehlt, was die Politik einzufordern und sicherzustellen hat: soziale Verantwortung.

Stattdessen versteckt sich die Politik hinter Mythen und Symbolen. Napoleoni nennt als Beispiele Silvio Berlusconis erfolgreiche Strategie, Italien wie einen Fußballverein zu regieren, der in der Champions League mitmischt, oder die Strategie der USA und Englands, die Angst vor dem islamistischen Terror ständig am Kochen zu halten und so die Bürgerrechte auszuhöhlen.

In beiden Fällen lenkt die Politik von der Tatsache ab, dass sich ehemalige Nationalstaaten zu Marktstaaten wandeln, zu Systemen also, die nicht auf den allgemeinen Wohlstand abzielen, sondern auf die Möglichkeit der freien Entfaltung ökonomischer Interessen. Theoretisch hat jeder die Möglichkeit reich zu werden, das ist die Freiheit des 21. Jahrhunderts. Die Ideologien sind verschwunden.

Neuer Gesellschaftsvertrag notwendig
Im Marktstaat ist das Wissen darum, was den Wähler von einer Partei zur nächsten wechseln lässt, ein mächtiges Werkzeug, und wer es beherrscht, kann mit Hilfe der politischen Propaganda Wunder wirken.

Theoretisch könnte jedermanns ungehinderter Zugang zum Weltmarkt auch positive Rückwirkungen auf die Allgemeinheit haben, das allerdings wäre eine Aufgabe für die Politik, es gälte dann nämlich einen neuen Gesellschaftsvertrag auszuhandeln, der für einen Interessensausgleich sorgt. Stattdessen - und an dieser Stelle verliebt sich Lauretta Napoleoni geradezu ins Ausstreuen schlechter Nachrichten – hat die Globalisierung zu einer rücksichtslosen Durchsetzung kurzfristiger Eigeninteressen, auch unter Aufwendung enormer krimineller Energien, geführt, die gesellschaftszersetzend wirken.

Nicht umsonst nennt die Autorin ihr Buch "Die Zuhälter der Globalisierung", womit sie suggeriert, die globale Wirtschaft sei bloß die Hure eines undurchschaubaren Kartells aus Fondsmanagern und Mafiabossen, das die weitverzweigten Geldströme in einen einzigen breiten Fluss lenken möchte, der einen gigantischen unterirdischen Speicher auffüllt.

Kurskorrektur möglich
Kann sein, dass man heutzutage schon in sehr kräftigen Farben malen muss, um die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass die Sache mit der Freiheit aus dem Ruder gelaufen ist. Kann aber auch sein, dass der Entwurf eines global agierenden Netzwerks aus Spekulation und Verbrechen zum endgültigen Fahrenlassen aller Hoffnung führt.

Napoleoni weist zwar darauf hin, dass Politik keine Schicksalsfrage ist, sondern das Resultat eines gemeinschaftlichen Willens - insofern sieht auch sie Möglichkeiten einer Kurskorrektur -, zugleich zweifelt sie daran, dass eine verängstigte beziehungsweise durch die Medien- und Entertainment-Industrie ruhiggestellte Gesellschaft in der Lage ist, politisch aktiv zu werden.

Praxis widerlegt Theorie
Ihre Vorschläge zur Verbesserung der Lage klingen deshalb nicht ganz überzeugend. Einer lautet: Man muss zu einer Art Stammesdenken zurückfinden und widerständige Territorien schaffen, demokratische Zellen gewissermaßen. Ein anderer betrifft den Umbau des Finanzsystems nach dem Vorbild des islamischen Finanzwesens.

Anders als die westliche Marktwirtschaft richtet sich das islamische Finanzsystem nach den Glaubensgrundsätzen des Islams und hält sich an die Scharia, das islamische Rechtssystem, das direkt auf dem Koran basiert. Islamische Aktivisten, Intellektuelle, Schriftsteller und Religionsführer traten stets für das Zins- und das Spekulationsverbot ein. Nach diesen Regeln darf mit Geld nicht weiteres Geld erzeugt werden.

Außerdem verpflichtet Reichtum zu sozialem Handeln. Das hört sich zwar gut an, aber wie man weiß, halten sich auch arabische Investoren nicht an die Scharia, wenn man im Westen viel Geld verdienen kann. Und dass islamistische Terrornetzwerke an westlichen Börsen spekulieren, hat man auch schon gehört. Bleibt am Ende nur der Aufstand der Zivilgesellschaft, der die gewählten Volksvertreter zum Handeln zwingt.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Loretta Napoleoni, "Die Zuhälter der Globalisierung", Riemann Verlag