Im Scheitern vereint

Baggersee

Der ungarische Autor Gergely Péterfy erzählt in seinem Roman von einem Baggersee - wie der Titel schon verrät. Dieser steht jedoch als modellhaftes Zentrum des Scheiterns in Lebensgeschichten. Péterfy hat ein Kammerstück des Grotesken abgeliefert.

Sie kommen her, um im Wasser zu ersticken, sagt der Wächter. Sie glauben, sie kämen zum Baden, weil sie nicht wissen, dass sie zum Ersticken kommen.

Schon die ersten beiden Sätze machen klar: Der ungarische Autor Gergely Péterfy erzählt in seinem ersten ins Deutsche übersetzten Roman nicht nur von einem realen Baggersee als hinlänglich bekanntem illegalem Eingriff in die Landschaft, sondern von einem modellhaften Zentrum des Scheiterns: des Scheiterns von Lebensgeschichten, aber auch des Scheiterns ihrer Erzählbarkeit, denn die immer skurriler werdenden Geschichten brechen einfach ab, oft mitten im Wort. Der Erzähler lässt sie alle den Wächter erzählen, aber so, dass man es nicht immer gleich bemerkt in dem raffinierten Spiel von gelegentlich sich überlappender direkter und indirekter Rede.

Seltsame Figuren

Erzählt wird natürlich von Figuren des Scheiterns: vom alten Hobbyangler Kálmán etwa, den es drängt, endlich die Witwe Katalin Vadász zu besuchen, der sich aber dabei in so vielen Details (und nicht wenig Alkohol) verheddert, dass er schließlich auf und davon läuft. Oder vom narbigen Anti, der als "Familienvater auf Freigang" an den See gekommen ist und sich dann irgendwann in seiner Knochensammlung vergraben hat - bis er von einem Brief ohne Absender völlig irritiert ist. Dann ist da noch die böse Vera, die den Landschaftsmaler Ervin fasziniert hat; sie macht krumme Geschäfte mit seinen Bildern und verzieht sich eines Tages, niemand weiß wohin. Der Simulant János Trockenhand gehört ebenso zu diesem Personal wie die Wirtin Irma, die jeden Tag einmal ihr Höschen auszieht, um sich zu lüften, und eines Tages eine Goldmünze darin findet.

Bei der Erfindung des grotesken Personals, das diesen Roman bevölkert, aber auch bei der Überblendung von realer Landschaft und abstrakter Modellhaftigkeit scheint Gergely Péterfy viel von Thomas Bernhards "Frost" gelernt zu haben, seinem erklärten Lieblingsbuch. Und das Sammeln von Trümmern, von Bruchstücken, das die Romanfiguren betreiben, ist für den Autor auch ein literarisches Programm. Und wie im Baggersee, so kann man auch in der Literatur ertrinken.

Der selbsternannte Wächter

Die schrägste Figur des Romans von Gergely Péterfy ist seine Zentralfigur, der Wächter am Baggersee. Mit einem Stofffetzen hat er sich selbst zu ebendiesem Wächter proklamiert. Eines Tages spielt er auf einem kaputten Kassettenrecorder ein kaputtes Band ab, dann macht er Aufnahmen seiner eigenen Geräusche, und am Ende mischt er das alles zusammen, bis er nichts mehr versteht und sich in den Geräuschen verliert.

Dass er noch immer fremd ist am Baggersee, stellt für den Wächter geradezu eine Befriedigung dar, denn er hat sich nirgends so schlecht gefühlt wie daheim; und um das zu untermauern, erzählt er von seinem ehemaligen Nachbarn, der sich, wie er sagt, "vierundzwanzig Stunden am Tag dem Genuss des Daheimseins hingeben" konnte und aus dessen Fenster "Daheimgestank" strömte.

Seither, so der Wächter, kämpft er "systematisch gegen die Verdaheimgeruchisierung an". Man kann die Übersetzerin Agnes Relle gar nicht genug loben für die Nacherfindung solcher Ausdrücke.

Mit allen Wassern gewaschen

Die Welt der Bruch- und Versatzstücke fügt sich nicht zu einem Ganzen und am Ende bleibt nur die "Ars moriendi", die alte Kunst des Sterbens. Sie wird exemplifiziert an einem Vogel, der in seinem Sterben auch die Erzählung mit sich reißt. Und das ist ein weiser Trick des mit allen Wassern der Erzähl- wie der Filmkunst gewaschenen Autors Péterfy, denn so entgeht er der tendenziell unendlichen Fortsetzbarkeit dieser Geschichten, und "Baggersee" bleibt, was es ist: ein Kammerstück des Grotesken, ebenso detailgenau wie modellhaft-abstrakt - ohne dass die Erzählung überfrachtet würde durch das Bemühen, gleich ein Weltmodell zu konstruieren.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Gergely Péterfy, "Baggersee", aus dem Ungarischen übersetzt von Agnes Relle, Paul Zsolnay Verlag